: Selbstbeobachtung auf Bauchhöhe
Wechselhafte Raumerfahrung mittels einfacher Gesten und leiser Ironie: „Das Haus – Zum Haus“, eine zweiteilige Ausstellung der türkischen Bildhauerin und daad-Stipendiatin Ayșe Erkmen in Berlin ■ Von Brigitte Werneburg
Auf die Frage, was er glaube, weswegen er Bildhauer geworden sei, antwortete Richard Serra in Kunstforum International, als Kind habe ihn das Problem ungeheuer beschäftigt, warum das Meer, das immer links von ihm lag, wenn er aus seinem Elternhaus den Strand entlang zu seinem Spielplatz lief, auf dem Rückweg plötzlich rechts war. Diese Irritation sei die Initiation für seine Beschäftigung mit dem Raum und seiner Wahrnehmung gewesen.
Auch Ayșe Erkmen, 45jährige Bildhauerin aus Istanbul, kann sich derart über ihre unmittelbare, alltägliche Umgebung verwundern. Zur Zeit Gast des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (daad), wohnt sie in direkter Nähe der Berliner Stadtautobahn. Wie diese endlos rauscht und lärmt aufgrund des bunten Flusses von Autos, der durch herbstlich gelichtete Bäume blitzt, dokumentiert ein Videofilm, den sie in der Galerie von der Tann zeigt. Im Nebenraum, auf einem weiteren Monitor, ist der Wipfel einer gerade verblühten Kastanie zu sehen, ein unsichtbarer Vogel tiriliert in Frühsommerfreude. Die elektrischen Versorgungskabel, die zu den Monitoren führen, durchlaufen auf dem Fußboden der Galerie je einen kleinen rechteckigen Kasten, der einmal mit grauem Teppichboden überzogen ist, das andere Mal mit braunem Linoleum. Die Installationen zeigen bei exakt gleichen technischen Einstellungen, Ton, Focus, Objektiv, einmal den Blick aus Erkmens (mit grauem Teppichboden ausgelegtem) Wohnzimmer in die idyllische Baumkrone und aus ihrer (mit Linoleum ausgelegten) Küche, die zur Stadtautobahn gelegen ist. Das Vogelgetschilpe ist verblüffenderweise ebenso laut wie das Rauschen der Autobahn. Ein dritter Raum, zu dem die Stromkabel hinführen, ist ebenso leer wie die beiden anderen, bis auf Ausnahme zweier weißer Holzstützen. Deren galgenartige Konstruktionsform hat Ayșe Erkmen ihrer Berliner Dachwohnung entliehen, wo sie den First stützen.
Es sind einfache, minimale Eingriffe, durch die Ayșe Erkmen den Raum verändert, ihn als völlig neues Wahrnehmungsproblem beschreibt. Der Gang „Zum Haus“, wie die Installation in der Galerie von der Tann betitelt ist, oder der Gang weg von ihm bewirkt, ähnlich wie beim Kind Richard Serra, die Irritation über die Welt, in der wir uns scheinbar unproblematisch bewegen. Das Staunen bringt uns in Distanz, macht uns unserer selbst bewußt, verortet uns. Gerade die Erkenntnis, wie wechselhaft und ganz verschieden der Raum ist, den wir gehend, sehend, hörend, riechend immer neu konstruieren, zeigt uns, wie leicht es ist, darin die Orientierung zu verlieren – allein deshalb, weil wir uns um unsere Achse drehen können.
Auch in der daad-galerie konzentriert sich Ayșe Erkmen auf schon vorhandene Elemente; hier arbeitet sie mit dem künstlichen Licht der Galerieräume. Die daad- galerie ist in einer Stadtvilla aus dem 19. Jahrhundert untergebracht, die ehemals von dem UFA- Filmstar Henny Porten bewohnt wurde. Um die Räume im ersten Stock für Ausstellungen nutzen zu können, wurden den eigentlichen, holzverkleideten Wänden U-förmige glatte weiße Wandelemente vorgeblendet. Dabei verschwanden auch Fenster, weshalb unter die Decken Schienenkonstruktionen mit Neonleuchten montiert wurden, die den Grundriß des jeweiligen Raumes in proportional verringertem Umfang widerspiegeln. So findet sich der Galeriebesucher „Inside the White Cube“ wieder, dem typischen neutral- weißen Ausstellungsraum, auf den Friedrich Meschede im Katalogtext zu „Das Haus“ rekurriert.
Diese hermetische, leere, lichte Raumarchitektur bricht und reflektiert die Künstlerin mit dem ebenso simplen wie eindrucksvollen Eingriff, daß sie die Schienenkonstruktion auf unterschiedliche Höhen absenkte. Dadurch ist der freie Zugang zu den Räumen versperrt; in Bauch- oder Kopfhöhe stößt man unweigerlich gegen das weiße Gestänge, das pötzlich zu einer Art Geländer mutiert, dem entlang man gezwungen ist, seinen Weg durch die Galerie zu nehmen. Der innere Bezirk der Lichtgevierte ist der verwehrte, obskure Ort. Obgleich man eigentlich nur unter der Barriere hinwegtauchen müßte, um ins Innere zu gelangen, erfährt man auch hier den hemmenden Effekt genauer Selbstbeobachtung, des Bewußtwerdens der eigenen Körperbewegung, der eigenen Standortsuche. Die nun indirekt strahlende Lichtquelle zeigt die anderen Galeriebesucher im dramatischen Licht einer Bühnenbeleuchtung. Mit dieser einfachen Geste erinnert Erkmen an die Geschichte des Hauses und seiner früheren Bewohnerin Henny Porten. Einzig ihr Bibliotheksraum blieb als Lagerraum für Kataloge in Form und Funktion relativ unverändert. In dieses private Ambiente hat Ayșe Erkmen die visuelle Bibliothek der Kinoöffentlichkeit eingefügt; auf drei Videomonitoren sind alte Filme des Stars zu sehen. Der Gegensatz zwischen dem rührigen Spiel der Porten und den minimalen Kunstgriffen, mit denen Ayșe Erkmen arbeitet, konstituiert einen Empfindungsraum, in dem die Geschichtlichkeit vergangener und gegenwärtiger Kunstauffassungen, die Möglichkeiten zwischen expressivem Drama und minimaler Konzeptkunst, elegant und mit leiser Ironie nach beiden Seiten, zur Vor- und Ausstellung kommt.
Die Ausstellung von Ayșe Erkmen „Das Haus“ ist bis 16.1. in der daad-galerie, Kurfürstenstraße 58 zu sehen; „Zum Haus“ läuft bis bis 29.1. in der Galerie von der Tann, Liebensteinstraße 4, Berlin.
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