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Sehnsuchts-Bilder

■ »Die Anderen« — Fotos von Gabriele und Helmuth Nothhelfer in der Galerie Niemann

Ich hielt das Fotografieren immer für etwas Unanständiges«, hat Diane Arbus einmal gesagt. Was die amerikanische Fotografin so leichthin umschrieb, kommt beinahe einem Fluch gleich. Wäre so nicht jede Fotografie, gleich ob inszeniert oder spontan gesehen, eine gezielte Indiskretion?

Zum Beispiel dieses Bild von Gabriele und Helmuth Nothhelfer: Zwei Jugendliche vergnügen sich — vielleicht — auf einem Straßenfest. Plötzlich stöbert sie jemand auf und richtet ganz unverhohlen den Fotoapparat auf sie. Einer der Jungen wehrt sich gegen den zudringlichen Blick. Was von diesem indiskreten Augenblick bleibt, ist eine Hand, die beredt »Halt« signalisiert: Skepsis herrscht gegenüber dem — fremden — Apparat. Oder ist es die uralte Angst, womöglich die Seele zu verlieren?

Die Aufnahme heißt »Freunde auf der Neuköllner Bezirkswoche, Karl- Marx-Platz, Berlin 1987« und gehört zu einer Reihe schwarz-weißer Fotografien, die gegenwärtig in der Galerie Bodo Niemann zu sehen sind. Die Ausstellung »Die Anderen« ist zugleich auch eine Werkschau von Arbeiten des Berliner Fotografen-Ehepaares aus den letzten zehn Jahren. Gabriele und Helmuth Nothhelfer, beide 1945 geboren, begannen ihre fotografischen Streifzüge durch (damals noch West-)Berlin Anfang der 70er Jahre. Ihre Sichtweise avancierte zum Markenzeichen: »Wir gehen gemeinsam auf die gleichen Veranstaltungen, um dort zu fotografieren, wählen zusammen die Bilder aus und bestimmen den Bildausschnitt.«

Zu zweit besuchen sie Straßenfeste im Kiez, ordentliche Vergnügungsparks wie den Berliner Zoo ebenso wie öffentliche Veranstaltungen, denen gemeinhin ein festlicher Charakter attestiert wird. Bei solchen Gelegenheiten treffen die beiden dann schon mal ein »Paar auf dem Theaterfest der Freien Volksbühne« (1985). Feingemacht, ganz herausgeputzt, die Dame mit Handschuhen und sommerlichem Kopfputz, der Herr — eine einzige Krawatte zum ernsten Gesicht.

Wie so ganz anders vier Jahre später im legendären November die Gesichter der »Besucher aus Westdeutschland mit Hammer und Meißel an der Mauer nahe dem Brandenburger Tor« (1989). Drei junge Männer halten lachend Mauerbrocken in ihren Händen. Geschichte zerbröselt unversehens zwischen flinken Fingern. Am »3.Oktober 1990 unter dem Brandenburger Tor« sitzt ein anderer junger Mann mit einem kleinen Wimpel am Straßenrand. Daß er fotografiert wird, scheint seine Apathie nicht zu mildern. Lachen ist inzwischen tiefgefroren.

Herausgelöst aus ihrer Gegenwart, muten die Porträtierten seltsam fremd an. Der nur kurz anhaltende Blick der Fotografen verschärft ihre Isolierung. Obwohl sie doch mitten im Geschehen stehen, sind ihre Körper in Einsamkeit eingeschlossen, ihre Verlorenheit bringt sich den anderen nicht näher.

Nothhelfers Aufnahmen versuchen eine Dokumentation alltäglicher Sehnsucht, ihr Versuch bleibt abstrakt. Dem sezierenden Abbild unserer Gesellschaft haftet allzu oft etwas Vordergründiges an: Der »Militärmantel im ehemaligen Todesstreifen am Checkpoint Charlie« (1990) hängt am Baum wie an einem Galgen. Er wurde ausgezogen, schnell abgestreift. Überflüssig ist er geworden, Abzeichen und goldene Knöpfe — keinen Pfifferling sind sie mehr wert. Das ganze taugt lediglich als fotografische Ikone.

Gabriele und Helmut Nothhelfers Fotografien bleiben auf Distanz. Ihre Indiskretion bricht keine Tabus. Zwischen den Fotografen und dem Gegenüber, den »Anderen«, existieren keine Grausamkeiten. Nervenproben gibt es beim Betrachten der Bilder nicht zu bestehen. Kälte, Verlorenheit, Einsamkeit — ein Schrecken ohne Folgen für Beteiligte. Yvonne Rehhahn

Die Anderen. in der Galerie Bodo Niemann, Knesebeckstraße 12 Di.-Fr. 10-18Uhr, Sa. 11-14Uhr, noch bis zum 23.Mai.

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