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Sehnsucht nach Sagen

■ Die Dramen versprechenden Comebacks der US Open scheiterten. Was bleibt, ist Tempo

New York (taz) – Es dauert noch ein bißchen, bis die US Open der Tennisspieler in New York zu Ende sind. Am Samstag gibt es noch das Halbfinale der Männer mit den Partien Rafter (Australien)–Sampras (USA) und Moya (Spanien)–Philippoussis (Australien), dazwischen das Finale der Frauen mit Teilnehmerinnen, die erst in der vergangenen Nacht aus den Duellen Hingis (Schweiz)– Novotna (Tschechien) und Davenport (USA)–Williams (USA) ermittelt wurden, und am Sonntag das Männer-Finale. Aber traurig darf man jetzt schon sein. Denn längst ist klar, daß nichts von dem klappt, was sich die Beobachter vor dem Turnier gewünscht hatten.

Die großen Rückkehrer-Geschichten kommen nicht zustande. Andre Agassi, Monica Seles und Steffi Graf sollten den Stoff dafür liefern. Konnten es aber nicht. Die Konkurrenz war zu stark.

Man hat sehr deutlich die Sehnsucht des Publikums nach etwas Sagenhaftem gespürt. Die vom Schicksal Geknechteten sollten gewinnen, man wollte zum Triumph eines Totgeglaubten Tränen der Rührung weinen. Was werden die langweilig konstanten Weltranglisten-Ersten Martina Hingis und Pete Sampras schon zu erzählen haben, wenn sie gewinnen sollten? Agassi, Seles und Graf dagegen Kummerspeck: SelesFoto: Reuters

hätten berichten können von entbehrungsreichen Zeiten und tausend Leiden, und deshalb unterstützten die Zuschauer sie, jubelten euphorisch, wenn ihnen etwas gelang, und flehten inbrünstig, als ihr Aus nahte. Andreeeh! Monicaaah! Steffiieh!

Andre Agassi (27), einst Weltranglisten-Erster, verlor 1997 vorübergehend die Motivation für Tennis und fiel bis auf Weltranglisten-Platz 122 zurück. Seit Januar hat er sich wieder emporgearbeitet. Bei einem Finalsieg hätte man ihn feiern können als schillerndes Beispiel für einen, der sich selbst aus dem Sumpf zieht. Doch Karol Kucera stürzte ihn im Achtelfinale. Monica Seles (24) einst Weltranglisten-Erste, blieb nach dem Messerattentat von Hamburg 1993 dem Sport 27 Monate fern. Nach ihrem Comeback hat sie immerhin 1996 die Australian Open gewonnen, doch ihre Dominanz von einst ist dahin. Hätte sie den Titel geholt, hätte man noch mal einfühlsam berichten können, wie wundersam jemand ein seelisches Tief überwinden kann. Martina Hingis fand das kitschig, 4:6, 4:6 im Viertelfinale. Steffi Graf (29), einst Weltranglisten-Erste, verletzte sich 1997 ihr Knie und mußte acht Monate pausieren. Seit Februar kämpft sie mit mäßigem Erfolg um Anschluß. Bei einem Finalsieg hätte man bewegt die Wiederauferstehung einer Abgeschriebenen feiern können. Doch Patty Schnyder wollte das nicht: 3:6, 4:6 im Achtelfinale.

Soviel Theater ist der weiße Sport eben nicht, daß er jene an die Spitze läßt, die die ergreifendsten Lebensgeschichten haben. Tennis ist ein wenig märchenhaftes Geschäft, in dem man nicht nach Belieben aussteigen und an die Spitze zurückkehren kann. Man hätte erst gar nicht so sentimental sein sollen. Seles mit ihrem Kummerspeck und überholten Grundlinienspiel, Graf mit ihrer altmodisch unterschnittenen Rückhand können gar keine Chance mehr haben auf schnellem Hartplatz, wenn die jungen, kraftvollen Tempospielerinnen Ernst machen. Und Agassi ist auch viel zu wenig druckvoll, um an normalen Tagen gegen die führenden Schnellschützen zu bestehen. Immerhin muß man sich jetzt nicht mehr über die Respektlosigkeit der 17jährigen Hingis ärgern, die Steffi Graf als Rivalin abgehakt hat, weil sie sagt: „Es ist schwierig für eine, die so lange nicht dabei war; das Spiel hat sich zu sehr beschleunigt.“ Sie hat nämlich recht. Leider. Thomas Hahn

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