: Seebrügge, King's Cross, Piper Alpha
Immer wieder kommen bei Katastrophen in Großbritannien die mangelhaften Sicherheitsbedingungen ins Gespräch Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Nordseeöls bietet den Ölgesellschaften Schutz vor lästigen und kostspieligen Sicherheitsauflagen ■ Aus London Rolf Paasch
Die drei Katastrophen, mit denen Großbritannien in den letzten 16 Monaten Schlagzeilen gemacht hat, haben mehr gemeinsam als ihre Toten. Was das Fährunglück vor Seebrügge, den Brand in der Londoner U-Bahn-Station von King's Cross und die Explosion auf der Ölplattform Piper Alpha verbindet, ist das Phänomen mangelnder Sicherheitskontrollen. Im Fährbetrieb, im U-Bahn-Verkehr sowie in der Ölindustrie ist die gleiche Behörde, die das Interesse der jeweiligen Industrien vertritt, gleichzeitig auch für die Kontrolle der Sicherheitsbestimmungen zuständig. Zu Land, zu Wasser und im Untergrund scheint dabei in der allgemeinen Wettbewerbs- und Profitmanie die Wirtschaftlichkeit selbst riskanter Unternehmungen wichtiger zu sein als deren Sicherheit. Es braucht Leichen, ehe sich die dann furchtbar geschockte britische Öffentlichkeit über den fahrlässigen und schludrigen Umgang mit den Risiken der jeweiligen Branche aufregt.
In Sachen Nordseeöl ist die beunruhigte Nation allerdings recht hilf- und machtlos, weil die Ausbeutung der Nordseevorkommen für die britische Volkswirtschaft so unverzichtbar geworden ist, daß man den Ölgesellschaften am liebsten nicht zu sehr auf die Finger schaut. Falls die jetzt diskutierten „Floatels“ - neben den Bohrinseln schwimmende Wohnplattformen für die Ölarbeiter - zur Auflage gemacht werden sollten, so warnte am Wochenende ein Sprecher des Ölmultis Shell, dann sehe sich die Gesellschaft möglicherweise zum Rückzug aus der Nordsee gezwungen; mit nachteiligen Folgen für den Schatzkanzler, der ja von den Ölgesellschaften jährlich fünf Milliarden Pfund (über 15 Mrd. Mark) Steuern eintreibe.
Solche Drohungen haben bisher immer ausgereicht, Pläne für lästige und kostspielige Sicherheitsauflagen für die Ölindustrie wieder in den Schubladen des Energieministeriums verschwinden zu lassen. So scheiterte der Versuch, der für fast alle Industriezweige zuständigen unabhängigen Gesundheits- und Sicherheitsbehörde auch die Kontrolle der 123 Ölinstallationen zu übertragen, immer wieder am heftigen Widerstand der Ölgesellschaften.
Seit Beginn des Nordseeabenteuers war das Verhältnis zwischen den Ölproduzenten und ihren Kontrolleuren allzu vertraulich. Als Mitte der siebziger Jahre die ersten Bohrinseln gebaut wurden, wußte niemand so recht, wie lange die riesigen Stahlgerippe den 20 Meter hohen Wellen standhalten würden. Viele der ersten Bohrinseln, darunter auch die Piper Alpha, wurden mit Einverständnis des Energieministeriums vor Ort umgebaut, repariert, mit Zusatzeinrichtungen versehen und wieder modernisiert. Die Gaskompressionskammer der Unglücksplattform, in der das unter hohem Druck nach oben strebende Gemisch aus Öl, Gas und Wasser getrennt wird, war beispielsweise erst 1985 nachträglich installiert worden.
Damals hatte das Energieministerium verfügt, das bis dahin abgefackelte Gas müsse von nun an aus wirtschaftlichen Gründen zur Nutzung an Land gepumpt werden. Daß die teilweise aus Holz gebauten Wohnquartiere der Ölarbeiter damit, so ein Arbeiter - direkt über dem explosionsanfälligsten Teil der Anlagen standen, störte die Kontrolleure offenbar wenig. Anzeichen dafür, daß es mit der Sicherheit der Ölbohrinseln nicht immer zum Besten bestellt war, waren bereits vor der Katastrophe vom vergangenen Donnerstag zahlreich. 1982 forderte ein Unfall auf der hochprofitablen Piper Alpha zwei Todesopfer, 1984 mußte die Plattform nach einem Unfall evakuiert werden. Da registrierte Sicherheitsverstöße aus Gründen „kommerzieller Vertraulichkeit“ vom Energieministerium grundsätzlich nicht veröffentlicht werden, sind auch die Untersuchungsberichte dieser beiden Zwischenfälle bisher geheim geblieben. Mahnungen der Ölarbeiter und ihrer Gewerkschaften wurden in der Regel ignoriert. Das aus Arbeitern und Vertretern des Managements zusammengesetzte Sicherheitskomitee der Piper Alpha löste sich vor zwei Jahren auf, weil seine Anregungen von der Occidental Petroleum in der Regel ignoriert wurden. Einige der Mitglieder dieses Ausschusses sind nun unter den Opfern der Katastrophe.
Der Ölpreissturz von 1986 dürfte die Bereitschaft der Ölgesellschaften zu neuen Investitionen für die Sicherheit eher noch verringert haben. Londoner Ölfachleute schätzen, daß viele Unternehmen ihre Produktionskosten seitdem um bis zu 30 Prozent gesenkt haben, um sich ihre Profitrate auch bei einem niedriegeren Ölpreis nicht beschneiden zu lassen. Auf wessen Kosten diese Einsparungen gehen werden, wird entweder die jetzt einberufene Untersuchungskommission aufzeigen - oder die nächste Katastrophe in der Nordsee.
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