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Schwuler Weihnachtsmann

■ Homo-Abenteuer rund ums Fest

Heiligabend verbringt er nicht im Kreise der Familie, er ist alleinstehend und nicht mehr der Jüngste. Er bleibt anonym, seinen richtigen Namen wagt er nicht zu nennen. Liebe wiederum erkauft er sich, indem er Geschenke verteilt. Zweifelsohne: Er gehört zu den versteckt lebenden Homosexuellen unserer Stadt! Ausgestattet mit Rute und Sack, verkörpert er in seinem Auftreten aber all das, was man in der »Gay Community« kennt und liebt: er trägt einen knallroten, pelzbekragten Mantel, wie ihn jede Tunte sich wünscht. Rot ist auch seine Knollennase, die Ralf König nicht besser hätte zeichnen können. Sein weißer Bart vermittelt männliche Reife, als Fahrzeug allerdings hält er einen Klingelschlitten. Am Verteilen von Süßigkeiten erkennt man ihn als Pädo, seine Rute dagegen schreit nach S/M. Berlins schwule Vielfalt unter einer Mütze bietet — wer hätte es gedacht — der Weihnachtsmann!

Gelegenheit, den Weihnachtsmann näher kennenzulernen, haben all diejenigen, die sich vor dem elterlichen Gänsebratenessen drücken. Nicht immer sorgfältig allerdings hat seine Sekretärin den Bescherungsplan zusammengestellt: Um 15 Uhr wird er im Ostteil sowohl bei Courage e.V. als auch beim konkurrierenden Sonntagsclub erwartet. Gegen Abend zieht es den Weihnachtsmann dann in die kommerzielle Sub. Den dortigen Gepflogenheiten angepaßt, wird er um 22 Uhr im Club Trommel und eine Stunde später im Connection seine Päckchen nicht verschenken, sondern verlosen. Frauenkleider wiederum trägt der ein Doppelleben führende Mann am ersten Feiertag. Suleika Bergmann-Pohl wird er sich nennen und mit einem gleichnamigen Ensemble in der AHA eine wunderbare Show präsentieren (an seiner etwas beleibten Figur bleibt er aber unschwer zu erkennen). Wenn es dem Weihnachtsmann am Heiligabend gelingt, bis 1 Uhr sämtliche Geschenke zu verteilen, können sich auch diejenigen freuen, die sich rechtzeitig von ihren Eltern losreißen konnten. Wie es nämlich unter dem roten Mantel aussieht, ist vielleicht auf der Safer-Sex- Party im SchwuZ zu erfahren. Ob der Weißbärtige dort sein Coming-out aber erleben darf, ist alles andere als sicher. Wegen »Überalterung der Gäste« hatten einige aus dem SchwuZ-Umfeld vorgeschlagen, künftig Gesichtskontrollen durchzuführen. Tja, lieber Weihnachtsmann, die »Gay Community« ist letztendlich auch nur so warm wie die schlechtbeheizte Urban-Klappe fünf Minuten von SchwuZ entfernt. Die wiederum bliebe im ungünstigsten Fall auch Dein letzter Trost. Trotz alledem: Frohes Fest! Micha Schulze

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