: Schwulenpolitik
■ betr.: "Vereingung andersrum" von K. Friedel, G.Dworek und V. Beck, taz vom 3.7.90
betr.: „Vereinigung andersrum“, von K.Friedel, G.Dworek und V.Beck, taz vom 3.7.90
Die Übernahme der DDR-Gesetzgebung bei der Vereinigung mit der DDR, also die gleiche „Schutzaltersgrenze“ für Heteros und Schwule sowie die jüngst eingeführte Unterstützung von schwulen Gruppen, ist fast genauso schlecht wie ein Fortbestehen der BRD-Gesetze. Beide Systeme beruhen weiterhin auf Ausgrenzung und Diskriminierung von Minderheiten. Keins der beiden Systeme hat es bisher geschafft, für einen herrschaftsfreien Umgang miteinander auch nur ansatzweise Ideen zu entwickeln. Die mehr schlecht als recht funktionierenden Gesetze werden durch eine Liberalisierung bei der Übernahme der jeweils fortschrittlicheren Regelungen nicht besser. Schwule Forderungen können nicht dabei stehen bleiben oder so, wie die Autoren es versuchen, sogar als fortschrittlich verkauft werden, nur weil man sich nicht mit der bestehenden Subkultur zufrieden gibt.
Die Festigung des Status quo, die Übernahme des staatlich präferierten Beziehungsmodells, ist weder ein schwulen- noch ein gesellschaftspolitischer Fortschritt. Wer wann mit wem wie oft vögelt, hat den Staat nicht zu interessieren; es darf keine vom Staat präferierten oder sanktionierten Lebensweisen geben. In einer neuen Verfassung muß der Schutz von Ehe und Familie gestrichen werden. Auch eine neue BGB -Ehe darf nicht entstehen. Jede Beziehung muß für sich selbst das Zusammenleben und die Versorgung, auch für nachher, regeln. Eine freie Vereinbarung von PartnerInnen in einer Beziehung mit den Versicherungen muß ermöglicht werden.
Gerade in diesen Punkten zeigt sich der Riß in der Schwulenbewegung. Während der eine Teil der aktiven Schwulen eine weitestgehende Angleichung an die bestehenden Verhältnisse durch möglichst viele Verbandsgründungen und Lobbyarbeit betreiben will, kämpft der andere Teil an der Seite der Minderheiten für eine herrschaftsfreie Gesellschaft. (...)
Die Streichung des § 175 kann nur ein kleiner Teilerfolg sein, der durch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten mitgenommen werden kann, jedoch darf dieses nicht die letzte Regelung sein. Nicht nur Utopie, sondern auch Ziel muß die Abschaffung jeglicher starrer Altersgrenzen sowie die Entwicklung einer Alternative zum Sexualstrafrecht sein. (...)
Wenn die drei Funktionäre eine „einheitliche, schlagkräftige Organisation“ aufbauen wollen, so wie es die Ost-Schwestern der DDR anstreben, wird ein großer Teil nicht dabei sein können. Erstens sind die Schwulen nicht einheitlich und zweitens viele von ihnen keine Schläger. Solange die Einsicht fehlt, daß es viele Schwule gibt, die diese patriarchalische Struktur ablehnen, wird es immer nur einen Wasserkopf von Funktionären in toten Organisationen geben. (...)
Ansgar Gusy
betr.: dito und Leserbriefe dazu, taz vom 13.7.90
Ich hatte mich schon ein wenig gewundert, ob denn die Hüter der reinen Homolehre alle schlafen, aber meine Erwartungen wurden von den Leserbriefen bei weitem übertroffen.
1. „Der Gradmesser für die Emanzipation der Schwulen kann nicht der gesetzliche Rahmen sein, in dem man sie homosexuell leben läßt.“
Wieso eigentlich nicht? Im Iran werden Schwule nach Recht und Gesetz hingerichtet; in den USA und anderswo per Gesetz eingeknastet, gekündigt, interniert etc. Auch bei uns regeln Gesetze die Rechte schwuler Männer, Paare und Gruppen. Schwule haben nicht nur Gründe, sie haben einen Anspruch, an dieser Schraube mitzudrehen. Gesetze sind nicht normenbildend, sie setzen aber die Grenzen, innerhalb derer sich Schwule organisieren können. Hier eigene Rechte einzuklagen, ist eine der Grundlagen schwuler Politik.
2. Als Alternative bietet uns Christoph folgendes an: „Der Kampf der Schwulen ist immer ein Kampf gegen jede Diskriminierung. Solange nur ein einziger... (hier ist jede beliebige Minderheit einsetzbar) wegen seines Andersseins zu leiden hat, bleibt für uns schwule Emanzipation auf der Tagesordnung.“ Wie Mann sich das vorzustellen hat, schreibt er an einer einzigen Stelle: durch „aktiven Gegendruck“!
Mal abgesehen davon, daß, wer seine Ziele in solch utopische Höhen treibt, sie auch gleichzeitig begräbt: Wie und wo zum Teufel findet dieser „aktive Gegendruck“ denn statt? In den Hinterzimmern der Aids-Hilfen, wo Schwule ihre Coming-out-Probleme diskutieren? Wenn Christoph mit seinem Freund händchenhaltend übern Ku'damm läuft? Oder nachts im Park und auf der Klappe?
Promiskes Rumvögeln ersetzt keine Politik. Es macht höchstens mehr Spaß. Und was am Schwulsein sui generis so „radikal“ sein soll, daß seine bloße gelebte Existenz schon die Grundpfeiler der Gesellschaft ins Wanken brächte, hat mir noch niemand schlüssig erklären können.
Dieser Radikalitätsbegriff ist ebenso beliebig wie inhaltsleer und dient letztlich dazu, eigenes politisches Nichthandeln zu legitimieren.
3. Wenn es dann wirklich mal einen Ansatzpunkt gibt, politisch was zu bewegen, etwas Schwules in den öffentlichen Diskurs zu bringen, kneift die Schwulenbewegung der BRD. Das sehen Beck/Dworek/Friedel völlig richtig. Um M.Ackermann auch noch eins überzubraten: Du hast schon recht, daß die Pädodiskussion schon vor dem 9. November gestartet wurde. Sie ist, genauer gesagt, seit 1973 im Gange, ohne auch nur einen Millimeter vorwärtsgekommen zu sein. Genau das meinen die Autoren, wenn sie von „wabernden Diskursen der Siebziger“ schreiben.
Die DDR-Schwulen sollten sich lieber mit dänischen oder holländischen Schwulen vereinigen. Was hierzulande als „Lobbypolitik“ verschrien ist, nämlich die Vertretung schwuler Interessen in gesellschaftlichen Institutionen, wird dort seit 40 Jahren mit Erfolg praktiziert. Die etwas trostlose Analyse von Beck/Dworek/Friedel der bundesdeutschen Bewegung ist durch die beiden Leserbriefe wieder mal voll bestätigt worden.
Michael Fahrenholz, Heidelberg/BRD
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