: Schwierige Ost-West-Gewerkschaftsdiskussion
Die Bundesjugendkonferenz des DGB probte am Sonntag den Dialog mit der Gewerkschaft der DDR und unabhängigen Bewegungen / Ursprüngliches Kongreß-Programm wurde verändert / Ein lebhafter Meinungsaustausch kam kaum zustande / Meist diskutierten die Gäste aus der DDR unter sich ■ Von Gabriele Sterkel
Berlin (taz) - Der erste Tag der Bundesjugendkonferenz des DGB am Sonntag in Berlin stand ganz im Zeichen des Wandels in der DDR. „Wir sind ergriffen und begeistert von einer Bewegung, die die Geschichte der Revolutionen durch eine historisch einzigartige gewaltfreie Revolution ergänzt. Wir sind in Gefahr, politische Chancen zu verpassen, wenn die Welt sich schneller ändert als unsere Weltbilder.“ So begann DGB-Bundesvorstandsmitglied Ilse Brusis die Eröffnungsrede und erntete hierfür von den knapp 140 Delegierten nur zaghaften Beifall. Mit fast stürmischem Beifall wurde hingegen die offizielle Delegation des FDGB bei der Begrüßung bedacht. Kurzfristig hatte die DGB-Jugend ihr Konferenz-Programm geändert: 200 junge GewerkschafterInnen aus der DDR waren eingeladen worden und eine Podiumsdiskussion angesetzt, an der je ein Vertreter vom FDGB, Neuem Forum und der „Initiative für unabhängige Gewerkschaften“ zusammen mit drei jungen DGB -GewerkschafterInnen teilnehmen sollte. Man wollte die günstige Gelegenheit nutzen, um mit jungen Gewerkschaftern aus den unterschiedlichen DDR-Bewegungen ins Gespräch zu kommen.
Keine Musikkapelle und keine flammende Begrüßungsrede erwartete die Gäste von drüben dann am Sonntag am Grenzübergang Potsdamer Platz. Die Ost-Gewerkschafter waren schon lange da und mußten sich in der Kälte die Füße vertreten, bis die Abordnung der Gastgeber endlich eintraf, um ihnen einen eher kläglichen Empfang zu bereiten. Warme Worte von Ilse Brusis und Sekt zur Begrüßung gab's erst nach dem Fußmarsch in die Kongreßhalle. Bevor der Bundesjugendkongreß mit den Gästen ins Gespräch kommen konnte, mußte jedoch erst noch ein Antrag zur Geschäftsordnung abgeschmettert werden, der darauf abzielte, die eigenen Beratungen nicht zu unterbrechen, sondern statt dessen die DDRler warten zu lassen.
Gemeinsamkeiten nur in puncto Korruption?
Obwohl die beiden Moderatoren - ein Redakteur vom DDR -Fernsehen und ein DGB-Sekretär - sich große Mühe gaben, die Diskussion anzuregen, kam es nicht zu dem, was man einen lebhaften Gedankenaustausch zwischen Ost und West nennen könnte. Die Frage, welche positiven Erfahrungen es denn mit den Gewerkschaften im Westen gäbe, machte den Jugendvertreter Thomas von Thyssen schlicht sprachlos: „Kann ich nichts zu sagen“, war die Antwort. Für Andrea Fischer, ehemalige DGB-Jugendfunktionärin, war „höchstens die Jugendgruppe“ eine positive Erfahrung, „die Möglichkeit, das, was einen bewegt, in gewerkschaftlichen Gruppen zu diskutieren.
Gemeinsamkeiten in Ost und West wurden nur in Sachen Korruption ausgemacht: Nicht nur die hohen Funktionäre in der DDR hätten sich unstatthaft bereichert, auch in der Bundesrepublik seien da nicht alle Westen weiß. Die Frage, ob Korruption wohl eine zwangsläufige Erscheinung in Großorganisationen sei, blieb unbeantwortet.
Weite Teile der Diskussion führten die DDR-Gäste unter sich, mit den Westlern als Publikum. Der FDGB-Funktionär vertrat die Auffassung, daß seine Gewerkschaft die Strukturen verändern müsse, unabhängig von der SED werden und die Zusammenarbeit mit staatlichen Organen aufkündigen müsse. Irena Dreißiger vom Neuen Forum hatte noch keine konkreten Vorstellungen von zukünftigen Gewerkschaften in der DDR, ein einheitlicher Gewerkschaftsverband sei allerdings wichtig. Die „Initiative für unabhängige Gewerkschaften“ wolle zwar nicht die Gewerkschaftsbewegung spalten, aber der FDGB sei ein Bestandteil des Machtapparates. Gewerkschaften müßten basisdemokratisch funktionieren, die Interessenvertretung müsse von den Arbeitern im Betrieb gewählt werden, sagte Uwe Bastian von der „Initiative“. „Das gab's doch bisher auch!“ tönte es lautstark aus dem FDGB-Block im Publikum, „der Vertrauensmann wird doch von der Gruppe gewählt und von niemand anders!“
Die FDGB-Kollegen im Publikum meldeten sich im Lauf der Diskussion immer energischer zu Wort, entweder um die anderen beiden Gruppen als „Intellektuelle“ zu diffamieren oder um die Umarmung zu versuchen mit „Wir wollen doch letztlich alle das gleiche.“ Was gänzlich fehlte, war eine Diskussion über Errungenschaften der westdeutschen Gewerkschaftsbewegung wie etwa die Mitbestimmung, die Tarifautonomie und das Streikrecht.
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