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Schwereloses Tischrücken

■ Zeichnungen und Texte von Jörg Janzer in der Galerie im Scheunenviertel

Ein Stuhl, ein Tisch, die Tastatur eines Klaviers — das sind die wiederkehrenden Elemente, aus denen Jörg Janzer seine Zeichnungen, zarte schwarze Liniengespinste auf grauem Karton, aufbaut. Anfang und Ende der Linien sind kaum auszumachen: als würde der Zeichenstift immer bei einem Tischbein ansetzen und dann abschwirren durch den Raum, die Vielzahl der Wege und Blicke entlangschießen. Flächen schieben sich ineinander, neigen sich, kippen, verrutschen. So entstehen aus einer taumelnden Séance der Möbel komplexe Gebilde, die schließlich einer transparent gebauten Stadt gleichen.

Jörg Janzer, der früher als Arzt arbeitete, ließ sich Ende der siebziger Jahre auf die unsichere Existenz als Hausbesetzer, autodidaktischer Künstler und Performer ein. Er lebte in Freiburg, Paris und Berlin, zeichnete und schrieb. Seine Bücher, gebundene Fotokopien von Schreibmaschinenseiten, liegen neben den ausgestellten Zeichnungen in der Galerie im Scheunenviertiel aus. In einem dieser Texte »Mens — in der Stille meiner herrenlosen Gedanken«, der großenteils von Mens einsamer Existenz in Paris erzählt, finden sich Passagen, die sich als Leseanleitungen der Zeichnungen verstehen lassen. Denn ähnlich wie der Autor Janzer selbst beginnt seine Figur Mens eines Tages Tische und Stühle zu zeichnen: »Fremde sind eingedrungen in seine Wohnung. Er flieht. Der Kamin droht einzustürzen. Er flieht. Flieht zu U. (weiblich) und beginnt zu zeichnen. Das Klavierzimmer. Vierhändig. Embleme der Gemütlichkeit. Tische und Stühle. Metamorphosen.«

Für den aus der Vertrautheit der Wohnung aufgestörten Mens dienen die Zeichnungen als Mittel der Beruhigung und Orientierung. Janzer beschreibt den ritualisierten Bewegungsablauf der Tage von Mens als eine Choreographie: »Ähnliche Wege wiederholt er zu einem Metzgerladen in der Rue Faubourg du Temple und wiederum woanders die Milch besorgend, immer gleiche Wege, die, wenn man sie aufzeichnete, ein Raster ergäben, Metamorphosen geometrischer Figuren im Raum, Choreogramme, und dementsprechend dann die Abläufe in der Wohnung, das Holzsägen, Wäschewaschen, Teekochen, Schreiben, zur Toilette gehen, Teekochen, Wäschewaschen, Auffegen, Ankleiden, Auskleiden, Lesen, Aufdembettliegen, Ankleiden, Teekochen, Lesen. Eintönige Bewegungen in einem eintönigen Raumgitter, die Mens vor Einbrüchen unbekannter Ereignisse schützen und so immer die gleichen zu sich nehmend.«

Nimmt das Raumgefüge hier die Funktion eines Sicherungsnetzes, einer Leitlinie durch den Alltag ein, so machen sich in ihm auch die Erschütterungen bemerkbar, denen Mens sich ausgesetzt sieht. Dem Abkippen aller verläßlichen Flächen geht eine Vision voraus: Mens zersägt, während seine Mutter im Nebenzimmer stirbt, ihre Chippendale-Möbel, die unverändert die Gemütlichkeit seiner Kindheit konservieren. Der Umgang mit dem Mobiliar und die Orientierung im Raum wird zum stellvertretenden Prozeß. »Ihm war, als sei er aus allen Koordinatensystemen geglitten. Als wäre ihm in seiner Behausung unter dem Dach, wo er vom Fenster aus nichts als eine Wand und den ebenso grauen Himmel, den bewegungslosen, sah, als wäre ihm da das Gefühl für das Oben und Unten abhanden gekommen, so wie auch für die Zeit und die Menschen...«

So läßt Janzers Text sich benutzen, um seinen Zeichnungen eine Geschichte zu verleihen; zugleich aber sind die feinen graphischen Gebilde mehr als Illustrationen. Was in der Erzählung schmerzt und bedrohliche Dimensionen der Zerstörung von Mens annimmt, wird in den Zeichnungen zum leichten Tanz und Spiel, zum befreiten Schweben. Während der Roman mit einem körperlichen Akt der harten Konfrontation beginnt — »Einer sei mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen. Heißt es.« —, fällt in den Zeichnungen das Fehlen eben jeglicher realer Wände und metaphorischer Begrenzungen auf. Die labyrinthische Verirrung wird in ihnen zur Lust und ästhetischen Kraft. Katrin Bettina Müller

Metamorphosen der Gemütlichkeit Zeichnungen von Jörg Janzer in der Galerie im Scheunenviertel, Weinmeisterstraße 8, 1020 Berlin, bis 4. Mai, Mo.-Fr. 14-18 Uhr.

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