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Schwere Verluste für die Tories

Bei den Kommunalwahlen in England und Wales verloren die Konservativen fast 800 Sitze/ Premier Major lehnte frühen Termin für Parlamentswahlen ab/ Großer Gewinner waren die Liberalen  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Bei den Kommunalwahlen in England und Wales, bei denen es am Donnerstag um 12.500 Sitze ging, mußten die Konservativen eine schwere Niederlage einstecken. Sie verloren fast 800 Sitze und kamen auf einen Stimmanteil von nur 37 Prozent. Die Tories mußten unter anderem ihre Hochburgen Bournemouth, Blackpool und Canterbury abgeben. Dagegen verzeichneten sowohl die Labour Party mit 43 Prozent, als auch die Liberalen Demokraten mit 17 Prozent starke Gewinne. Die beiden Parteiführer Neil Kinnock und Paddy Ashdown forderten noch in der Nacht zum Freitag, als sich das Wahlergebnis abzeichnete, sofortige Parlamentswahlen. Darauf wird sich Premierminister John Major jedoch nicht einlassen. Die Tories bauen darauf, daß Inflations- und Zinsrate im Herbst sinken werden. Das würde die Erfolgschancen der Partei bei allgemeinen Wahlen, die innerhalb der nächsten elf Monate stattfinden müssen, erheblich verbessern.

Die Tories, die mit einem Verlust von nur 200 Sitzen gerechnet hatten, versuchten gestern, die Bedeutung der Kommunalwahlen herunterzuspielen. Staatssekretär Michael Portillo gab zwar zu, daß das Ergebnis eine Enttäuschung sei, sagte aber: „Kommunalwahlen sind immer eine Gelegenheit, den Unmut über die Regierung auszudrücken. Die Liberalen haben von dieser Protestwahl profitiert. Ich bin jedoch sicher, daß diese Wähler bei den Parlamentswahlen zu uns zurückkehren werden.“ Portillo wies darauf hin, daß die Labour Party trotz der Rezession, der Kritik an der Kopfsteuer und der Debatte um den Gesundheitsdienst den Durchbruch nicht geschafft hätte. Würde man das Wahlverhalten bei den Kommunalwahlen auf Parlamentswahlen übertragen, dann wäre Labour zwar die stärkste Partei, würde die absolute Mehrheit jedoch knapp verfehlen.

Labour-Chef Neil Kinnock ist jedoch optimistisch: „Es war keinesfalls eine Protestwahl, sondern eine positive Stimme für Labour“, sagte er gestern. „Die Bevölkerung hat die Nase voll von den zwölf Jahren der Verschwendung und des Abbaus sozialer Errungenschaften.“ Seine Partei konnte vor allem in Süd-England, das als einzige Region vom Thatcherismus profitiert hatte, einen Stimmumschwung von elf Prozent auf Kosten der Tories herbeiführen. Im Norden allerdings, einer traditionellen Labour-Hochburg, fielen die Gewinne weit geringer aus. Sorge bereitet der Labour-Partei auch das Ergebnis von Liverpool. Dort konnten fünf inoffizielle Labour-Kandidaten, die von der „Breiten Linken“ nominiert worden waren, ihren moderaten Parteigenossen die Sitze abnehmen.

Die große Überraschung der Wahlen waren die Liberalen Demokraten. Obwohl man ihnen Verluste von mindestens 100 Sitzen prophezeit hatte, konnten sie stattdessen 435 Mandate hinzugewinnen — fast ebensoviele wie die Labour Party. Parteisprecher Archy Kirkwood schrieb das der Tatsache zu, daß sich die Kandidaten der Liberalen im Gegensatz zu denen der anderen Parteien im Wahlkampf vor allem um lokale Themen gekümmert hätten. Er glaubt jedoch, daß die Partei auch bei Parlamentswahlen bestehen werde. Parteichef Paddy Ashdown versprach, die erste Amtshandlung einer liberalen Regierung wäre die Abschaffung des ungerechten britischen Wahlsystems und die Einführung der proportionalen Repräsentation.

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