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Schweißtreibend

■ Tempo und Technik beherrschen die Krankenhausserie "Emergency Room", ab heute (20.15 Uhr) montags auf Pro 7

Pro 7 bleibt immer hautnah dran. Zur Pressevorführung lud der Sender diesmal in die Urologie des Allgemeinen Krankenhauses von Hamburg-Barmbek. Anlaß: der deutsche Start der hochgelobten „Nummer 1 der US-Drama- Serien“. „Emergency Room“ (kurz „ER“) heißt die Reihe über eine Notaufnahme, die wöchentlich von 30 Millionen AmerikanerInnen geguckt wird und schon acht „Emmys“ erhielt. Wie echt es da tatsächlich zugeht (Programmchef Jan Körbelin: „ER zeigt die Sachen knallhart, wie sie wirklich sind“), sollte also quasi auf dem Operationstisch demonstriert werden. Nach drei Sekunden „ER“ jedoch wirkte das Realambiente von Barmbek mit seinem Krankenhausfunk („Wir erfüllen Musikwünsche am Krankenbett“), den roten Backsteingebäuden und einem Brunnen, dessen Naß aus leicht geöffneten Pinguinschnäbeln sprudelt, abgestanden sanatorial, von geradezu bachblütigem Flair umweht und meilenweit entfernt von Tempo und Technik der medial konstruierten Notaufnahme.

Emergency Room hat nicht mehr viel mit den verfilmten Arztromanen zu tun. Durch hohe Schnittfrequenz und eine das Geschehen bewegt begleitende Kamera kommt man beim Zusehen schnell ins Schwitzen. Unterschwellige Panik wird dadurch erzeugt, daß man sich perspektivisch in die Rolle des nahen Beobachters versetzt sieht, der ständig damit rechnen muß, unversehens zur Operationsassistenz aufgefordert zu werden. Wie bequem war doch die Patientenperspektive.

Konsequent wird die Charakteristik des Ortes, die Räume der Notaufnahme werden kaum verlassen, in dichte Clips komprimiert, die das Zusehen zum Zappen ohne Fernbediehnung machen. „Der beste Teil von 15 Medizingeschichten“ (Programmchef Körbelin) wird in jeder Folge erzählt, was natürlich allein die Höhepunkte meint, insbesondere die Frage um Leben oder Tod. Langweiligkeiten wie Nachbetreuung finden schließlich auf anderen Stationen statt. So werden wir beispielsweise konfrontiert mit angeschossenen 13jährigen Drogendealern, mißhandelten Babys, lungenkrebskranken Kettenrauchern oder einfach Kindern, die Haustürschlüssel verschluckt haben.

Bevor wir richtig mitleiden können, sind diese Notfälle schon wieder Vergangenheit, und das ist auch gut so: „Es geht nicht um unsere Gefühle, wenn eine helfende Hand benötigt wird“, lernen wir bereits im Pilotfilm von Dr. Mark Greene.

Bemerkenswert, daß trotz der vielen Schichten in einer echten Notaufnahme, die der „Technical Adviser“ Dr. Lance Gentile mit den SchauspielerInnen schob, und trotz des zusätzlichen Hintergrundregisseurs, der darauf achtete, daß Schläuche und Blutkonserven authentisch ins Bild hängen, „Emergency Room“ doch seltsam konstruiert wirkt. Nicht genug, daß das Verständnis der Macher von einer Realität, die unabhängig von der BetrachterIn irgendwo vorgefunden und dann nachgestellt wird, medientheoretisch jahrzehntelang überholt ist. Vor allem erweist sich schnell, daß Realität hier nur als Oberfläche verstanden wird.

Auf sie projiziert Autor Michael Crichton – ja, der Produzent heißt tatsächlich Steven Spielberg – seine immergleiche Geschichte von Wissenschaftlern, Anwälten oder eben Ärzten, die durch ihr Hyperengagement im Beruf Außergewöhnliches erleben, das denen, die pünktlich zum Dienstschluß nach Hause gehen, ewig vorenthalten bleiben wird.

In „Emergency Room“ geht es um sechs Mitglieder des Personals eines Chicagoer Krankenhauses, zwei davon sind Helden. Dr. Mark Greene (Anthony Edwards), der leitende Assistenzarzt, ist der gute „weiße“ Onkel Doktor. Ein 120.000-Dollar-Jobangebot woanders hat er selbstverständlich abgelehnt. Mit Brille und nahtlos in den Hals übergehendem Kinn ausgestattet, unterbricht er seine ernsthafte Arbeit nur, wenn er schlafen muß. Wesentlich verdächtiger, weil attraktiver, kommt der „anmaßende und großspurige Superchirurg“ (Presse-Info), der schwarze Machodoktor Peter Benton (Eriq La Salle), daher. Er ist der draufgängerische Held, da er auch mal das enge Korsett des Reglements durchbricht, um einem Patienten das Leben zu retten. Die vier anderen, unter ihnen zwei Frauen, sind menschlich wie wir, der Student John Carter betritt die Notaufnahme im Pilotfilm sogar ein wenig nach uns und hat auch kompetenzmäßig wenig Vorsprung.

Daß es bei „Emergency Room“ nicht allein um die Etablierung einer Sendung, sondern um die Kreation eines Kultes geht, springt nicht allein dadurch ins Auge, daß schon jetzt wieder und wieder auf Folge 23 hingewiesen wird, für deren Regie Quentin Tarantino („Reservoir Dogs“, „Pulp Fiction“) eingekauft werden konnte. Zusätzlich wurden reichlich Heftpflaster, Alu-Clipboards, grüne OP-Hemden und ER-Anstecknadeln zu einschwörerischen Zwecken zusätzlich unter dem Pressevolk verteilt.

Und was meint die ärztliche Direktion des AK Barmbek zu derlei Spektakel auf ihrem Gelände? Für wie wirklich halten denn nun wirkliche Ärzte „Emergency Room“ „Nein, wir haben uns die Serie nicht angesehen, und ich finde auch nicht, daß das die Aufgabe eines Krankenhauses ist“, geht Dr. Gührs auf Nachfrage irgendwo ganz tief hinter dem Springbrunnen in Deckung. Kaum zu glauben, daß auch im AK Barmbek eine funktionierende Notaufnahme existiert. Claudia Thomsen

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