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Schweine zwischen Platten

■ Das "Allendeviertel" in Köpenick unterscheidet sich von den "Neubaugroßstädten" im Osten: Es gibt Wildschweine, einen bezirkseigenen Jugendclub und einen Bürgerverein

Die Bache mit den acht Frischlingen wartet unter dem Fenster des Elfgeschossers auf Futter. Christa Kalex vom Bürgerverein „Allendeviertel“ schüttelt den Kopf. Wildschweinfüttern ist verboten, aber die Frau im Erdgeschoß hält sich nicht dran. Die Wildschweine aus dem Köpenicker Forst merken sich, wo es Futter gibt, und kommen immer wieder zu den Hochhäusern.

Im Allendeviertel wurden nicht die Sünden anderer DDR-Plattenbausiedlungen wiederholt. Die Bäume des ehemaligen Waldgebietes ließ man – soweit möglich – stehen. Heute umranden knorrige Kiefern die monotonen Wohnblöcke. Die Plattenbauwohnungen aus den 70er Jahren im grünen Köpenick sind begehrter als die in den 80er Jahren in der gleichen Architektur gebauten in Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen.

Zehn Minuten fährt man mit dem Fahrrad vom Allendeviertel zum Müggelsee. Zehn Minuten in die Gegenrichtung – und man ist in der Köpenicker Altstadt, am Rathaus mit dem Hauptmann davor und auf der Flaniermeile. Arbeiter und Ingenieure aus den Köpenicker Industriebetrieben, die ihre Stammbelegschaft nicht halten konnten, durften hier einziehen.

Im Unterschied zu den „Neubaugroßstädten“ wohnen im Allendeviertel nur 12.000 Menschen. 1971 zogen die ersten Familien ein. Zwei Jahre später – nach dem Putsch in Chile – wurde das ehemalige „Amtsfeld“ in „Allendeviertel“ umbenannt. Die DDR gab sich nach den Weltfestspielen im Sommer 1973 weltoffen. Lateinamerikanisches Flair zog mit den Flüchtlingen aus dem Andenland ins Allendeviertel ein. Ende der 80er Jahre kehrten viele der DDR den Rücken. Wer einen deutschen Ehepartner hatte, blieb.

Damals habe es kaum eine Regierungsdelegation aus Lateinamerika auf DDR-Trip gegeben, erinnert sich Christa Kalex vom Bürgerverein, die nicht auch das „Vorzeigewohngebiet“ besichtigt habe. „Damals war es hier sauber“, fügt sie hinzu. Jetzt klagt sie über leere Flaschen, Dosen und Kekspapier zwischen den Elfgeschossern. Die „Wohnumfeldgestaltung“, so das amtsdeutsche Wort für die Spielplätze, ziehe nicht Kinder an, sondern Jugendliche. „Die feiern bis nach Mitternacht, und die Mieter können nicht schlafen“, schimpft Christa Kalex.

Kinder im Spielplatzalter wohnen kaum im einstigen Vorzeigewohngebiet. Wie alle Plattenbausiedlungen im Osten ist auch das Allendeviertel ein Ein-Generationen-Wohngebiet. Wer in den siebziger Jahren hier eine größere Wohnung bekam, ist heute zwischen 50 und 65. Die Kinder sind aus dem Haus oder im Teeniealter.

In der „Bude“, einem Bretterhaus irgendwo zwischen Wald, Elfgeschossern und Volleyballplatz, treffen sich die Rechten, mutmaßt Christa Kalex. Paule macht die Musik leiser, als die Leute vom Bürgerverein kommen. Sein Hund guckt argwöhnisch. Paule ist arbeitslos, sitzt im Liegestuhl und hört Musik. Volleyball kann er nicht spielen wegen des Hornissennests auf dem Platz. Sonst sei es hier „echt in Ordnung, selbstverwaltet und so“. Und das mit dem rechten Club sei großer Quatsch, versichert Paule. „Hier interessiert keinen, wer rechts und links ist, jeder kann kommen.“

Ein paar Meter weiter ist „der Würfel“, ein Jugendclub mit frisch gescheuertem Fußboden, Keramikwerkstatt, Musikstudio, Kraftsportraum und Ballettsaal. Der bezirkseigene Club wurde neu eröffnet, weil hier so viele Jugendliche wohnen. Etwa zeitgleich mußte einen halben Kilometer weiter der „Allendeclub“ schließen, um Baufreiheit für einen Investor herzustellen. Die ehemaligen Stammgäste sollen bald einen provisorischen Ersatzclub bekommen. Abends sei jetzt „tote Hose“, erzählt ein Jugendlicher. Musik wird jetzt auf den Freiflächen zwischen den Elfgeschossern gehört.

Bürgerbeteiligung, so klagt Klaus Behrend, müsse gegen harte Widerstände der SPD-dominierten Bezirksverordnetenversammlung durchgesetzt werden. Nicht immer gelinge es dem Bürgerverein, Rederecht in den Ausschüssen zu erlangen. Das Wahlverhalten im Allendeviertel liegt im Ostberliner Durchschnitt: Die PDS liegt vor der SPD, der CDU und den Grünen. Ein paar Rep-Wähler gebe es auch, erzählt Behrend. Doch öffentlich träten sie nicht in Erscheinung.

Der Bürgerverein rechnet sich auch Erfolge an: Die Ampeln würde es ohne den Verein nicht geben, ist Klaus Behrend überzeugt. Und vor zwei Jahren ließ der Senat nach harten Bürgerprotesten „den Wahnsinnsplan, hier die Bebauung zu verdichten“, wieder fallen, erzählt er weiter. Acht Hochhäuser sollten zwischen den bereits existierenden gebaut und die Einkaufsmöglichkeiten an den Rand gedrängt werden. „Davon spricht heute keiner mehr“, sagt Behrend stolz. Der rüstige Rentner lebt lieber mit ein paar Wildschweinen zwischen den Hochhäusern als ohne Licht und Sonne. Ute Ehrich

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