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Schwarzgrün in Österreichs zweitgrößter Stadt"Eine charmante Variante"

Neue Koalition in Graz plant "Welcome Card" für Zuwanderer und Nulltarif für Busse und Straßenbahnen bei Feinstaubalarm.

Die Altstadt von Graz. Bild: dpa

WIEN taz Schwarz-Grün wird ab Mitte des Monats in Österreichs zweitgrößter Stadt Graz regieren. In der Hauptstadt der Steiermark wurde Montag ein Koalitionsbündnis der bisher schon regierenden ÖVP mit den Grünen besiegelt. Die beiden Parteien waren aus den Gemeinderatswahlen vom 20. Januar mit 37,6 Prozent (ÖVP) und 14,6 Prozent (Grüne) gestärkt hervorgegangen und haben miteinander eine bequeme Mehrheit im Gemeinderat der steiermärkischen Hauptstadt.

Für Bürgermeister Siegfried Nagl, der sein Amt schon vor fünf Jahren antrat, ging ein Wunsch in Erfüllung. Aus dem hatte er schon im Wahlkampf kein Geheimnis gemacht. Auch seine Parteifreunde hatte er schnell überzeugt. Nach nur zwei Stunden Beratung segnete der Grazer ÖVP-Parteivorstand am Sonntag den Pakt einstimmig ab. Bei den Grünen war die Skepsis größer, ist doch auf Bundesebene die Kluft zwischen den Ökos und der konservativen Bauern- und Wirtschaftspartei zuletzt immer größer geworden. Nach sechsstündiger Sitzung am Sonntagabend war die Zustimmung des Vorstands mit 86 Prozent aber doch überzeugend.

Grünen-Chefin Lisa Rücker hatte der machtbewußten ÖVP erstaunlich viel Entgegenkommen abverlangt. Für den überfälligen Ausbau des Radwegnetzes bediente sie sich eines Plans, den die ÖVP selbst vor 20 Jahren zur Diskussion gestellt und dann stillschweigend begraben hatte. Statt eines Bettelverbots, wie es Nagl einmal forderte, soll es eine verstärkte Zusammenarbeit mit den slowakischen Heimatgemeinden der meisten Grazer Bettler geben. Die Integration von Zuwanderern soll durch verstärkte Deutschkurse aber auch muttersprachliche Förderung auf allen Ebenen beschleunigt werden. Als Symbol, dass sie willkommen sind, werden Neuankömmlinge künftig ein "Welcome-Paket" bekommen.

Dem Feinstaub, dessen Werte zuletzt immer wieder Umweltalarm ausgelöst hatten, will Schwarz-Grün mit Investitionen in den öffentlichen Verkehr zu Leibe rücken. Bei Feinstaubalarm werden Busse und Straßenbahnen zum Nulltarif verkehren. Das umstrittene Privatisierungsprogramm soll sich auf keinen Fall auf Bereiche der Daseinsvorsorge, wie Gas, Strom und Wasser, erstrecken. Und Kinderbetreuungsplätze werden ausgebaut.

Obwohl die Stadtverfassung die Beteiligung aller Parteien an der Stadtregierung vorsieht, grenzt man sich von der fremdenfeindlichen FPÖ klar ab. FPÖ-Obfrau Susanne Winter, die im Wahlkampf durch rabiate Mohammed-Beschimpfungen aufgefallen war, wird als Stadträtin für die Geriatrie zuständig sein.

Lisa Rücker glaubt nicht, dass das Beispiel auf die Bundesebene übertragbar sei. Aber: "Ich denke, dass gerade für Kommunalpolitik Schwarz-Grün ein interessanter Ansatz ist, weil man auf kommunalpolitischer Ebene sehr stark über Sachpolitik entscheidet und ideologische Fragen in gewissen Dingen keine so große Rolle spielen wie etwa auf Bundesebene, wo man auch Gesetze formuliert." Schwarz-grüne Zusammenarbeit gibt es bisher nur im Land Oberösterreich und in Vorarlbergs Hauptstadt Bregenz.

Das Grazer Experiment wird sowohl in Wien als auch auf der steirischen Landesebene überwiegend positiv aufgenommen. ÖVP-Steiermark-Obmann Hermann Schützenhöfer sprach von einer "Koalition der Wahlsieger. Für uns ist es eine spannende, interessante und charmante Variante". Er registriert einen "Aufbruch für Graz", den man von Landesseite her entsprechend begleiten werde. Auch die SPÖ, die in Graz empfindlich verlor aber in der Steiermark regiert, signalisiert Zusammenarbeit. Nur bei den Rechtsparteien FPÖ und BZÖ schreit man Zeter und Mordio. Das BZÖ Jörg Haiders, das sich vehement für ein Bettelverbot eingesetzt hat, beklagt die "vollständige Kapitulation der ÖVP vor der Grünen Anarchistentruppe".

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