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KOMMENTARESchwarz-rote Koalition der Verlierer

■ Baden-Württemberg ist kein Pilotprojekt für eine Bonner Regierung

Seit Samstag steht es nun, das baden-württembergische Gespann der Verlierer. Unüberbrückbar weit schienen die beiden Koalitionäre noch vor den Landtagswahlen voneinander entfernt zu sein. Der Schreck über das verheerende Wahlergebnis vom 5. April hat die arg gebeutelten Volksparteien CDU und SPD gegenseitig in die Arme getrieben; der Traum vom schwarz-grünen Glück war schnell ausgeträumt. In Stuttgart wird künftig eine große Koalition geprobt.

Die zunächst ungeliebte Liaison, nicht zuletzt unter dem Druck der Verhältnisse im etwas verblaßten Musterländle zustandegekommen, hat die Koalitionäre durchaus nähergebracht. Beide Seiten verweisen auf die erzielten Vereinbarungen und auf das ausgesprochen gute Verhandlungsklima. Doch von einer Wende kann nicht die Rede sein: In den seitenlangen Verhandlungsergebnissen steht nichts, womit die CDU nicht auch leben könnte. Für die Schulden des Landes wird etwas gespart, für die Sondermüllverbrennung vorerst ein neuer Standort gesucht, die zweigeteilte Laufbahn im Polizeidienst nicht eingeführt. Bei allen drei Punkten hatte der SPD-Fraktionschef Dieter Spöri eine deutliche Kurskorrektur verlangt. Es drängt sich der Eindruck auf, die SPD habe in allen Punkten in die Knie gehen müssen. Bei der Pflegeversicherung einigte man sich auf das Blüm-Modell, die Kfz-Steuer soll auf die Mineralölsteuer umgelegt werden, im Wohnungsbau sollen in den nächsten vier Jahren eine Viertelmillion neuer Wohnungen hinzukommen — Beschlüsse, die selbst in den Reihen der CDU auf nicht allzuviel Widerstand gestoßen sein dürften. Der kleine Juniorpartner SPD auf Ahnlehnungskurs zur Union? Wohl nicht, denn als Alternative hätten die Sozialdemokraten lediglich aus der Koalition ausscheren können. Und Neuwahlen — das ist das allerletzte, an was CDU und SPD in Baden-Württemberg derzeit Interesse haben könnten. Auch der Clou all dessen, der „Durchbruch“ in der Asylfrage, hat einen Pferdefuß: Zwar soll das Individualrecht auf Schutz politisch verfolgter im Grundgesetz nicht angetastet werden, doch bei weiteren Regelungen wird auf ein einheitliches europäisches Asylrecht verwiesen, das es bekanntlich noch nicht gibt. Statt nach einer auch für den Bundestag tragfähigen Einigung zu suchen, wird der Schwarze Peter nach Bonn weitergeschoben. Als Lösungsallianz für die von der Regierung Kohl aufgetürmten Problemberge bietet sich der südwestdeutsche Pilotversuch wohl kaum an. Erwin Single

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