: Schwarz für Weiß, Rot und Grün für Schwarz
■ In Berlin ist die Auseinandersetzung um den Schwarzen Kreis (Mietpreisbindung für Altbauwohnungen) bereits ein heißes Vorwahlkampfthema für 1989 Berliner Mieterverein und Mietergemeinschaft planen „Volksabstimmung“ im Mai - Mietpreisbindung soll Dauerrecht werden
Aus Berlin Christoph Albrecht
„Weißer Kreis - Großer Scheiß - Doppelter Preis“: Neben dem Slogan des Jahres 1972 nimmt sich das 1987er Motto „Mietpreisbindung als Dauerrecht“ harmlos aus. Doch was sich an Konfliktpotential angehäuft hat, verspricht für die nächsten Monate eine heiße Auseinandersetzung. Zum sechsten Mal soll in Berlin der Schwarze Kreis, die Mietpreisbindung für die 500.000 Altbauwohnungen und damit für die Hälfte des Berliner Wohnungsbestandes, auslaufen. Für neue Verträge gilt die Freigabe ab 1.1.1988, für bestehende Verträge ab 1.1.1990. So wurde es 1982 von CDU, SPD und FDP einvernehmlich beschlossen und im Bundestag als Gesetz verabschiedet. Doch bereits vor einem Jahr entdeckte die Berliner SPD, die aus den letzten Abgeordnetenhauswahlen 1985 mit 32,4 Prozent noch nicht einmal mehr als eine „Drittelpartei“ herauskam, daß das Auslaufen der Mietpreisbindung zwar ein Bonner, aber kein ehernes Gesetz ist. Sie beschloß, aus der Weißen–Kreis–Koalition des Jahres 1982 auszusteigen und - den Blick fest auf die Wahlen 1989 gerichtet - gegen das Auslaufen der Mietpreisbindung eine Kampagne zu starten. Aus CDU–Sicht ist die Termin– Konstellation in der Tat prekär: Bleibt alles wie beschlossen, dann können die Altbau–Vermieter für neue Verträge ab 1.1.1988 bis zu 30 Prozent höhere Mieten nehmen. Bei 100.000 neuen Mietver trägen, die in Berlin jedes Jahr abgeschlossen werden, entfallen ungefähr 50.000 auf Altbauwohnungen. Deren Mieter werden bis zum Wahltermin im Frühjahr 1989 also Zeit genug haben, überall zu erzählen, was Weißer Kreis in barer Münze heißt. Schlechte Voraussetzungen für die CDU und Eberhard Diepgen. Während Bausenator Wittwer noch auf jeder Diskussion das „Soziale Mietrecht“ anpries, hatte sich der Regierende Bürgermeister schon in Bonn angesagt, um bei seinen Parteifreunden Nachbesserung zu verlangen. Plötzlich reichten Wohngeld, Mietausgleich und eine eigens geschaffene Härteregelung, die den Mietern die Angst vorm Weißen Kreis nehmen sollten, nicht mehr aus. Offizielle Begründung für den Sinneswandel: Der Zuzug von 50.000 Personen in den vergangenen drei Jahren habe die Leerstandsreserve, die als Marktkorrektiv funktionieren sollte, abgeschmolzen. Und - trau, schau, wem - auf einmal entdeckte sogar die CDU, daß vielleicht die Wohnungseigentümer doch nicht so zurückhaltend ihre neuen Spielräume ausnützen würden. Eine Verlängerung der Übergangsfrist in die neunziger Jahre hinein und eine Senkung der maximal möglichen Mietsteigerungen in drei Jahren von 30 auf 15 Prozent, das ist die Marschrichtung von Diepgen in Bonn. Damit hat er exakt jene Überlegungen übernommen, die seine Kreuzberger Parteifreunde vor einigen Monaten formuliert und veröffentlicht hatten und dafür erst einmal herbe innerparteiliche Kritik einstecken mußten. Die FDP, bei den letzten Wahlen mit riesigen Beträgen aus der Berliner Bauwirtschaft gesponsort und jetzt in deren Pflicht, reagiert als Stimme ihres Herrn mit der Aufforderung an Diepgen, das „Herumbasteln am Weißen Kreis“ zu unterlassen. Die SPD ruft „Alles nur Taktik“, und der Berliner Mieterverein fängt an, in der Arbeit zu ersticken. Denn nach langem Hin und Her hinter den Kulissen haben sich der Mieterverein mit seinen 40.000 Mitgliedern und die Berliner Mietergemeinschaft (10.000 Mitglieder), wegen deren SEW–Nähe der eher SPD–orientierte Mieterverein sonst lieber Distanz hält, darauf geeinigt, gemeinsam eine „Volksabstimmung“ zur Mietpreisbindung als Dauerrecht vom 1. bis 31. Mai zu machen. Bereits 1982 war durch 250.000 Unterschriften unter ein Bürgerbegehren des Mietervereins der Weiße Kreis abgeschmettert worden. Jetzt soll, unterstützt von der SPD, der AL, dem Berliner SED–Ableger SEW und durch zahlreiche „Kiezbündnisse“, der Schwarze Kreis zum Dauerrecht gemacht werden. Alle, die in Berlin einen ersten oder zweiten Wohnsitz haben und mindestens 16 Jahre alt sind, können ihre Stimme abgeben. Die SPD hat eigens für ihren baupolitischen Sprecher und Abgeordneten Wolfgang Nagel den neuen, vollbezahlten Job eines „Kampagnenleiters“ geschaffen, damit die Partei von Kopf bis Fuß auf die große Auseinandersetzung mit der Koalition eingestellt wird. In jeder ihrer 138 Abteilungen will sie 15 Genossen losschicken, die an der Haustür Stimmen sammeln sollen. Zielvorgabe für jeden: 200 Unterschriften. Langsam kommen auch in den Bezirken sogenannte „Kiezbündnisse“ in die Gänge. Sie setzen sich aus Mieterinitiativen, Beratungsläden, Gewerkschaftsvertretern und Mitgliedern von SPD, AL und SEW zusammen. Ihnen steht noch ein hartes Stück Arbeit bevor, denn daß die Mieter von den drohenden Mietsteigerungen bereits umgetrieben werden, davon kann man bis jetzt wahrlich nicht sprechen. Mit dem Frühlingsanfang am 21. März beginnt die entscheidende Phase der Auseinandersetzung. Dann werden in einigen Straßen zum erstenmal riesige Dias an Häuserwände projeziert. Initiiert von einem Künstler und finanziert vom Mieterverein lief in den vergangenen Wochen ein Wettbewerb zum Thema „Berlin wird helle - Mieter und Künstler gegen den Weißen Kreis“. In der letzten März–Woche wird es jeden Abend einen weit leuchtenden Protest auf vielen Häuserfassaden in Berlin geben. Eine Wohngemeinschaft rüstet bereits einen LKW mit einem riesigen Dia–Projektor aus. Sie wollen als „mobiles Lichtkommando“ durch die Stadt fahren und bevorzugt dort auftauchen, wo der bunte Schein der 750–Jahr–Feiern vergessen lassen könnte, daß am 751. Geburtstag viele Berliner Mieter schwarz sehen müssen, sollte der Weiße Kreis durchgekommen sein.
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