Schwarz-Grün in NRW: Grüne Harmoniesucht
Im Bündnis mit der CDU könnten nicht nur grüne Kernthemen auf der Strecke bleiben. Ignoriert wird auch die Spaltung der Gesellschaft – in Arm und Reich.
N ordrhein-Westfalens Grüne sind jetzt da, wo sie viele ihrer Spitzen-Leute sie schon 2010 haben wollten: In den Armen der Christdemokraten. Einstimmig hat nicht nur der CDU-Landesvorstand am Sonntag den Einstieg in Koalitionsverhandlungen beschlossen. Auch beim kleinen Parteitag der Grünen in Essen gab es nicht eine einzige Stimme gegen das Bündnis mit den Konservativen, sondern nur 7 Enthaltungen.
Abgefeiert haben die Grünen in der Essener Philharmonie stattdessen die eigene neue Stärke, die Beinahe-Verdreifachung des Wahlergebnisses bei der Landtagswahl vom 15. Mai auf 18,2 Prozent, die Größe der neuen, 39 Köpfe zählenden Landtagsfraktion – und ein wachsweiches gemeinsames Sondierungspapier mit den Christdemokraten des bisher von der FDP unterstützten Ministerpräsidenten Hendrik Wüst. Dabei bleibt das selbst bei den grünen Kernthemen Ökologie und Klimaschutz erschreckend schwammig.
Denn dem Ergebnis der nur viertägigen Sondierungen fehlt nicht nur eine konkrete Jahreszahl, bis wann der versprochene Umbau „zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas“ abgeschlossen sein soll. Im Rheinischen Revier soll das Dorf Lützerath offenbar doch noch den Baggern des Braunkohletagebaus Garzweiler geopfert werden. Von der versprochenen Solarpflicht für alle Neubauten ist keine Rede mehr. Der Flächenfraß soll lediglich halbiert werden – dabei verschwindet in NRW jeden Tag die Fläche von 18 Fußballfeldern unter Asphalt und Beton. Und zum dramatischen Artensterben heißt es nur unverbindlich, beide Parteien wollten „Maßnahmen aus der Volksinitiative Artenvielfalt aufgreifen“.
Wüst und seine Christdemokraten, die zur Regierungsbildung auf die Grünen angewiesen sind, spielen also auf Zeit. Bisher haben sie nur ein wohlklingendes, aber nichtssagendes Papier abgesegnet, das geschickt und unverbindlich Keywords der Grünen bedient. Wenn diese wenigstens ihre Kern-Inhalte durchsetzen und nicht den Anschluss an Klima- und Umweltbewegung verlieren wollen, dann werden sie bei den schon am Dienstag startenden Koalitionsverhandlungen sehr hart verhandeln müssen.
Große Versöhnungsrhetorik
Doch ob die nordrhein-westfälischen Grünen dazu überhaupt bereit sind, müssen sie noch beweisen. Die grüne Verhandlungsführerin Mona Neubaur jedenfalls produzierte nach dem Beschluss für den Einstieg in Schwarz-grün erst einmal Sprechblasen pur, schwärmte über die „große Möglichkeit, lagerübergreifend Versöhnung herzustellen“. Versöhnen will die designierte Vize-Ministerpräsidentin nicht nur „Stadt und Land“, sondern „die Generationen“ gleich mit – also quasi alle mit allen.
Erklärbar wird diese neue grüne Harmoniesucht nur durch den Blick in die Parteigeschichte. Die Erinnerung an Traditionssozis wie die einstigen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement und Peer Steinbrück, die sich selbst in rot-grünen Koalitionen zum „Koch“ erklärten und die Grünen als „Kellner“ demütigen wollten, ist tief in der Partei verankert. Vergessen und verdrängt wird dabei allerdings die tiefste Spaltung der Gesellschaft überhaupt: die zwischen Arm und Reich.
Nicht ohne Grund ist das Kapitel „Arbeit und Soziales“ im 12-seitigen schwarz-grünen Sondierungspapier erschreckend dünn, nimmt gerade einmal 20 mitleiderregende Zeilen ein. Nicht umsonst waren explodierende Mieten, eine Sozialpolitik für alle beim Essener Parteitag der Grünen nur ein Randthema der Parteijugend und eines einzelnen Delegierten aus dem sozial besonders hart gespaltenen Ruhrgebiet.
Schwarz-grün ist eben kein lagerübergreifendes Bündnis, sondern wird eine Koalition mit einer klaren Arbeitsteilung: Die CDU vertritt den konservativen, die Grünen den progressiven Teil der oberen Hälfte der Gesellschaft. Für die unteren 50 Prozent, die schon heute kaum etwas besitzen, heißt das nichts Gutes.
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