: Schwächere gehen unter
■ Nur hinter der Hand geben Bremer LehrerInnen der CDU recht, die da sagt: Die Orientierungsstufe funktioniert nicht und gehört abgeschafft.
„Was? Die Bremer CDU will die Orientierungsstufe abschaffen?“ Karin Drda-Kühn, Sprecherin des hessischen Kultusministeriums kriegt sich kaum wieder ein, „das muß ja ein konservativer Verbund sein, daß der 20 Jahre hinter der Zeit herhinkt“. Klaus Bürger von der Bremer CDU hat aber nicht den Eindruck, hinter der Zeit herzuhinken: Er hat sich auf einem Hearing der CDU im Frühjahr zum Beispiel die Klagen diverser LehrerInnen angehört. Am Montag nun forderte er in Abstimmung mit Fraktion und Partei die Abschaffung des schulartübergreifenden gemeinsamen Unterrichts aller Kinder in der 5. und 6. Klasse: Die Kinder seien entweder unter- oder überfordert, speziell die Lernschwächeren würden stark benachteiligt.
In Hessen dagegen denkt offenbar niemand daran, die dort „Förderstufe“ genannte Orientierungsstufe wieder abzuschaffen. Die Zehn- bis Elfjährigen könnten sich endlich in Ruhe auf denselben Stand weiterentwickeln und ab der 7. Klasse mit hoher Sicherheit die für sie richtige Schulwart wählen, sagt die Kultus-Pressesprecherin.
Alles nur hehre Worte, schimpfen manche Bremer LehrerInnen – nur, öffentlich sagen mag man's nicht, „weil dann wieder die CDU daherkommt“. Wie die Realität in manchen Orientierungsstufen aussieht, beschreibt eine Lehrerin so: „Ich kann mich weder um die Lernschwächeren noch um die Lernstärkeren richtig kümmern: Die Stärkeren kriegen immer nur extra Aufgaben, damit ich mich mit den Schwächeren beschäftigen kann. Und wenn wir einen Geschichte weiterschreiben wollen, sind die Stärkeren so schnell fertig, daß man schon wieder was haben muß als Futter, auch wenn man eigentlich noch gern kleinschrittiger mit den Schwächeren weiterarbeiten möchte. Die Schwächeren bleiben oft auf der Strecke, die Polarisierung verstärkt sich.“ Dauernd konfrontiert mit den Stärkeren resignieren die Schwächeren oft schon, wenn ein neues Buch verteilt wird: „Das kann ich doch eh nicht“. Oder sie werden aggressiv. Nur wenn man auf Grundschulmethoden wie gemeinsames Theaterspiel zurückgreife, seien alle froh.
Diese Lehrerin hat auch schon reine Hauptschulklassen unterrichtet: „Da kann man von einem einigermaßen gleichen Niveau ausgehen, es fühlen sich mehr angesprochen.“ Ob das nicht die bessere Förderungsmethode sei, fragt sich diese Lehrerin heute.
Und was ist mit der vielzitierten „Binnendifferenzierung“? Indem die LehrerInnen an die unterschiedlichen Leistungsgruppen unterschiedlich schwierige Aufgaben verteilen, soll jedes Kind innerhalb der gemeinsamen Klasse gemäß seinen Fähigkeiten gefördert werden können. „Ach, Binnendifferenzierung ist ein reines Zauberwort“, sagt eine Lehrerin. Außer daß Aufgaben am Rand mit einem kleinen „E“ (für „Erweiterungsaufgabe“) gekennzeichnet sind, gebe es noch immer wenig Anleitung für einen differenzierten Unterricht.
Der Bremer Bildungssenator aber will weiterhin am gemeinsamen Unterricht für Fünft- und SechstklässlerInnen festhalten. „Auch eine Gymnasialklasse ist im übrigen nie so homogen, daß ich sie im Gleichschritt führen kann“, hält Ursula Helmke, die Referentin für die Sekundarstufe 1, jenen LehrerInnen entgegen, die von den leistungsgleichen Klassen früherer Zeiten träumen. Der wachsenden Unterschiedlichkeit der SchülerInnen, so Helmke, würde man auch mit der klassischen Dreiteilung der Schule in Hauptschule, Realschule und Gymnasium nicht gerecht.
Allerdings will die Schulbehörde einige Anregungen der Schulreformkommission aufnehmen: die riet letztes Jahr nämlich zu mehr sogenannten Kleinklassen von maximal 18 SchülerInnen. Diese Kleinklassen gibt es derzeit an einem Viertel der Bremer Schulen. Die SchülerInnen werden dort nicht in einzelnen Fächern in kleinere, aber meist leistungsgemischte Gruppen aufgeteilt, sondern sind immer zusammen – aber eben in einer kleineren Gruppe. Außerdem riet die Kommission zu einer Arbeitsgruppe Orientierungsstufe, die sämliche Erfahrungen sammelt und anhand gelungener Unterrichtsbeispiele Empfehlungen gibt. Vor allem aber sollen die LehrerInnen der Grundschule und der Orientierungstufe enger zusammenarbeiten, damit die Kinder nicht den zweimaligen Bruch zwischen Klasse 4 und 5 und dann nochmal zwischen 6 und 7 so stark als Bruch mit den früheren Unterrichtsmethoden erleben.
Die Niedersachsen, die bereits 23 Jahre Erfahrung haben mit der Oreintierungsstufe, haben den Erfolg mittlerweile rechnerisch erfaßt: Dadurch, daß die LehrerInnen erst am Ende der 6. Klasse eine Empfehlung für die weitere Schullaufbahn geben, landen mehr Kinder auf der für sie richtigen Schulart. Folglich sei die Quote der SitzenbleiberInnen in den niedersächsischen Gymnasien so gering wie in keinem anderen Bundesland. Auch sowas mache Schule humaner.
cis
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