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Schutz nur für erstklassige Zeugen

Mehr als 5.000 Personen nehmen zur Zeit in Italien am Zeugenschutzprogramm für Ex-Mafiosi und Angehörige teil. Jetzt will der Innenminister eine „gründliche Reform“ beginnen  ■ Aus Rom Werner Raith

Ein neuer Bericht des Innenministers Rinaldo Corona hat in Italien die Diskussion um die Behandlung von aussagewilligen Ex- Mafiosi neu angefacht. Danach werden derzeit knapp tausend „Pentiti“, ausgestiegene Bandenmitglieder, geschützt, dazu an die hundert wichtige Zeugen mafioser Taten – und gut viereinhalbtausend Familienangehörige der Geschützten dazu. Innerhalb von zwei Jahren hat sich die Zahl der Aussteiger verfünffacht – und das bringt nach Angaben des Innenministers derartige finanzielle und personelle Probleme, daß eine „gründliche Reform“ fällig wird.

Derlei Worte finden sofort ein weites Echo – insbesondere bei jenen Parteien, in deren Reihen noch immer umstrittene Personen wirken, die allerhand Justizquerelen am Hals haben, mafioser oder anderer Art. „Forza Italia“-Chef Silvio Berlusconi, der inzwischen von Mafia-Aussteigern auch des Kokainbesitzes geziehen wird, gerät geradezu in Verzückung, wenn es den Pentiti an den Kragen geht. Und Rocco Buttiglione, Führer einer der Nachfolgegruppierungen der aufgelösten Democrazia Cristiana, sieht sich wieder einmal in seinem Kampf um die Rehabilitierung des wegen mafioser Bandenbildung und Anstiftung zum Mord angeklagten Ex-Ministerpräsidenten Giulio Andreotti bestätigt: „Das mit den Pentiti ist eine ungesunde Entwicklung“ – als ob die Kosten des Programmes die Glaubwürdigkeit der Zeugen gegen Andreotti erschüttern würden.

Nur langsam formiert sich auch eine besonnene Richtung. Der ehemalige Vorsitzende der Antimafiakommission und derzeitige Kammervizepräsident Luciano Violante sieht zwar auch einen Bedarf nach „Effizienzsteigerung“, warnt aber davor, „die Regelungen der Kronzeugenbehandlung grundsätzlich umzustoßen“. Der landesweit anerkannteste Mafia-Experte Pino Arlacchi vermutet hinter der Kampagne um eine Neueinstufung der „Pentiti“ sowieso „einen Teil der seit Monaten laufenden Diskreditierungskampagne gegen die aussagewilligen Mafiosi“.

Tatsächlich lassen sich für beide Seiten Argumente finden. Daß die Pentiti einen erheblichen Beitrag zum Kampf speziell gegen die aggressivste Mafia-Gruppierung, die militärisch organisierte Cosa Nostra, geleistet haben und noch leisten, steht außer Zweifel: Nicht nur, daß inzwischen mit zwei Ausnahmen die gesamte Führungsspitze der Cosa Nostra – die mehr als zweihundert örtliche Banden mit gut 5.000 schwerbewaffneten Mitgliedern umfaßt – verhaftet und großenteils zu lebenslänglich verurteilt werden konnte, steht auf der Habenseite der Kronzeugen. Auch mehr als drei Dutzend geplante Attentate konnten mit ihrer Hilfe vermieden werden.

Strafverfolger der vordersten Linie, wie Oberstaatsanwalt Giancarlo Caselli aus Palermo, stellen allerdings auch fest, daß ihnen zwischen die „echten“ Pentiti allerhand falsche Fünziger eingeschmuggelt werden. Teilweise, um Falschinformationen zu verbreiten, zum Teil aber auch, um herauszubringen, wie das Schutzprogramm funktioniert – mit dem Ziel, den einen oder anderen Aussteiger doch noch umzulegen und so das Vertrauen in den Schutz des Staates zu zerstören.

Innenminister Corona möchte nun an zwei Stellen reformieren: Einerseits sollen in Zukunft nur noch wichtige Kronzeugen eine neue Identität und ein ansehnliches Geld zum Start in ein neues Leben erhalten. Zweitens will er die Meßlatte höher legen: Wer nur Erkenntnisse des Staatsanwaltes bestätigt, ist nicht schutzwürdig. Nur wer weitere, bisher unbekannte Einzelheiten aussagt oder Straftaten nachweislich verhindern hilft, kann mit Schutz rechnen. Das allerdings stößt auch auf Bedenken: „Manche Kronzeugen,“ sagt Oberstaatsanwalt Caselli, „brauchen Jahre, um Vertrauen zu den Ermittlern zu fassen. Dann erst sagen sie die wichtigsten Sachen aus.“

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