■ Dokumentation: Schurkenverein
Das Orakel aus Windhorst hat sich gemeldet. Ex-Bildungssenator Thomas Franke schrieb an seine Parteivorsitzende Tine Wischer. Aus gegebenem Anlaß. Wir dokumentieren:
Liebe Tine, so geht es wirklich nicht weiter! Als Exotenfreigehege wird Bremen zum politischen Unterhaltungsplatz der Republik. Da kann ein in Abhalfterung befindlicher Sparkassendirektor der Regierungschef Paroli bieten und öffentlich dessen Aussschluß aus der gemeinsamen Regierungspartei SPD fordern, weil dieser Spitzenkandidat der SPD, und nicht er, der Dissident, gegen das Partei- und Gemeinwohl verstieße. So eine komödiantische Ungeheuerlichkeit führt in dieser Stadt nicht zu Gelächter, sondern wird von städtischen Provinzmedien und ihren Konsumanten ernst genommen.
Da kann das Geld der städtischen Sparkasse ungeniert für die politischen Eskapaden des Nochdirektors ausgegeben werden, ohne bei irgend einer Kontrollinstanz die Klingel schrillen zu lassen. Selbst südlich des Mains, im Umland der Amigoszene, würde ein Rebers öffentlich auflaufen. In Bremen rührt sich nichts.
Eine trottelige Opposition, ein unpolitisch gewordenes Stadtpartriziat, eine apathische SPD lassen inzwischen die Herrschaft solcher Politiklords zu. Mein Gott Tine, gegen die jämmerlichen Frondeure der neuen bremischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei hast Du eine zahnlose Statutendiskussion begonnen, statt ihnen öffentlich eine auf's Maul zu hauen. Ein Mann wie Werner Lenz verscheißert Dich und den Landesvorstand und die ganze SPD. Natürlich weiß er genau, daß eine Sonderliste gegen die SPD der Gipfel von Abtrünnigkeit ist. In seinen Herrschaftstagen wäre er gnadenlos über solche Abtrünnige hergefallen. Jetzt machst Du eine Formeldebatte auf, statt hart und polemisch zuzuschlagen.
Du hast offensichtlich Angst. Die AfB ist in all ihrer Erbärmlichkeit schon jetzt imstande, das Regierungshandeln unserer Nischenrepublik zu bedrohen. Der Mißtrauensantrag gegen Fücks bringt uns in die Bredouille, weil die SPD-Fraktion ein heterogener Haufen mit vielen unkalkulierbaren Abweichlern ist. Fücks Sturz und das Ende der Ampel ist Sehnsucht der Grobecker-Fraktion, die die große Koalition und Grobi im Rathaus wollen. Chaos in Bremen wünscht sich, wer ohnedies nicht wiederkommt und sich für sich mehr erhofft hat. Darauf setzt die CDU. Die unheilige Allianz schließt Grüne ein, die sich von einem Ampelmord durch Dolchstoß wegen der Hemelinger Marsch Rettung vor dem Verröcheln im Rathaus erhoffen.
Dem allen schaust Du, liebe Tine, mit dem Landesvorstand hilflos zu. Zusammen mit dem Bürgermeister habt Ihr kein Quäntchen Kraft mehr, der Provinzposse gegenzusteuern. Dein Fraktionsvorsitzender ist ein prothesenloser Tiger, der alles weiß, aber nichts wagt. Du bist vom Rat des Bürgermeisters abhängig, der Konflikte austricksen, aber nicht auskämpfen kann.
Der Bremer SPD hilft nur noch offensive Klarheit und polemisch deutliche Front gegen jeden Abweichler. Was riskierst Du denn? Hinterhältige Verräter bleiben sie auch bei sanftem Formalismus. Nimm sie offen an, liebe Tine. Stelle sie vor das Forum der Partei und dränge sie mit härtester Argumentation öffentlich aus der Partei. Wenn Du danach Im Parlament keine Mehrheit mehr haben solltest, bleibt Dir doch eine ehrliche Basis zum Neuanfang. Als Schurkenverein kann die SPD in Bremen nicht überleben, und Du auch nicht. Liebe Tine, werde endlich offensiv! Dein Thomas Franke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen