Schulreform in Hamburg: Politische Bildung
In Hamburg entscheidet sich, ob CDU und Grüne es schaffen, dass Kinder länger gemeinsam lernen. Und ob den Grünen der Charme von Schwarz-Grün erhalten bleibt.
Wenn die Vermittlungsgespräche über die Hamburger Schulreform scheitern, gibt es in der Stadt wahrscheinlich einen Volksentscheid zum Für und Wider der sechsjährigen Grundschule. Die schwarz-grüne Koalition muss dann das Schicksal ihres wichtigsten Projekts der Hoffnung ausliefern, dass sich die Reformanhänger an einem Sonntag in den Sommerferien auch zur Urne bequemen.
Die Umfragen deuten darauf hin, dass sich eine Mehrheit der Hamburgerinnen und Hamburger für die Schulreform des Senats finden lassen wird. Die Frage ist, ob die anstehende Kampagnenschlacht eine entsprechende Willensäußerung noch zulässt. Oder ob nicht viele Befürworter genervt sein und ihr Votum schon deshalb verweigern werden, weil sie die Geschichte von dem standhaften CDU-Bürgermeister Ole von Beust und der tapferen Grünen-Schulsenatorin Christa Goetsch bald nicht mehr hören können. Eine Chance des Volksentscheids bestünde immerhin darin, dass die SPD-Wähler sich zur Sache äußern dürfen - ohne dass ihr Votum von den oppositionellen Verrenkungen der Sozis in der Bürgerschaft verzerrt wird.
Das drohende Debakel spaltet jedoch nicht nur Hamburg und insbesondere seine CDU, welche vom Bürgermeister nur noch mit Ach und Krach auf Linie gehalten wird. Auch die Grünen haben viel zu verlieren.
Projekt: Die Schulreform ist eines der wichtigsten grünen Projekte im schwarz-grünen Hamburger Senat. Die Grundschule soll durch eine Primarschule ersetzt werden, auf der alle SchülerInnen sechs Jahre (bisher: vier) gemeinsam lernen. Ab der 7. Klasse ist eine Aufteilung in Gymnasium und Stadtteilschule anstelle des bisherigen dreizügigen Systems vorgesehen.
Protest: In nur einem Monat sammelte die Initiative "Wir wollen lernen" gegen die Primarschule und für eine Beibehaltung des Elternwahlrechts 184.500 Unterschriften - rund dreimal so viele, wir für einen Volksentscheid nötig sind. Seit Mitte Januar laufen Vermittlungsgespräche zwischen der Initiative und dem Senat.
Den Grünen in Hamburg mag es zwar gelingen, für ihr aufrechtes Bemühen vom Wähler wie vom Anhänger noch belohnt zu werden. Die Frage, welche Fehler auch sie gemacht haben, stellt gnädigerweise bislang kaum einer. Die schwarz-grüne Vorzeigekoalition, die Erste ihrer Art in einem Bundesland, muss über der Primarschule auch nicht zerbrechen. Die Grünen im Rest der Republik schauen jedoch mit Grausen nach Hamburg.
Denn alle Grünen, die ab jetzt mit einer Bildungsreform ein schwarz-grünes Regierungsbündnis begründen wollen, werden auf Hohngelächter stoßen. "Soso, fortschrittliche Bildungspolitik ist mit der CDU möglich und machbar?", wird es heißen - "das ist ja in Hamburg auch super gelaufen!"
Bildung ist das größte Pfund der Grünen in den Ländern. Mit Bildung binden und gewinnen sie ihre Leute: gut gebildete Eltern, speziell die Mütter, und deren volljährigen Nachwuchs. Das Bildungsthema funktioniert binnengrün flügelverbindend als Sozialthema, denn es riecht nicht nach Umverteilung. Genau deshalb ließ sich auch mit Bildung - und einer halbwegs aufgeschlossenen CDU - ohne nennenswerte Widerstände bei Partei und Anhängerschaft die erste schwarz-grüne Landeskoalition begründen.
Wie aufgeschmissen Grüne sind, wenn sie mit diesem Pfund nicht wuchern können, ist schon in Nordrhein-Westfalen zu besichtigen. Eine schwarz-grüne Koalition nach den Landtagswahlen im Mai ist zwar nicht die Traumverbindung der insgesamt eher linken NRW-Grünen, doch ausgesprochen möglich. Für eine Schulreform jedoch ist weder NRW das geeignete Land, noch die Jürgen-Rüttgers-Truppe der richtige Ansprechpartner. Um glaubwürdige Kriterien für einen schwarz-grünen Koalitionsvertrag zu formulieren, müssen die Grünen auf das Thema Öko und Energie zugreifen. Das aber bietet kein zündendes Äquivalent zur "Primarschule", kein lockendes Versprechen, mit der CDU Geschichte zu schreiben, während man mit der SPD nur gemeinsam unterginge.
Im kommenden Jahr, 2011, wird allein im Frühjahr in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Bremen gewählt. Im Herbst folgen Berlin und Niedersachsen. Ein Jahr haben die schwarz-grünen Grünen überall dort noch Zeit, das Thema zu finden, mit dem sie ihre Wunschkoalition verkaufen können - wenn die Reform in Hamburg scheitert.
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