Schulkindbetreuung: Eltern befürchten Chaos
Die Pläne der Schulsenatorin, die Nachmittagsbetreuung flächendeckend anzubieten, stoßen bei Eltern und Kita-Trägern auf Kritik.
Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) muss sich auf neue Proteste einstellen. Eine Initiative aus Eltern, Lehrern und Erziehern mobilisiert seit Freitag auf ihrer Homepage www.hortbetreuung-hamburg.de gegen die Pläne der Senatorin, ab 2011 die Nachmittagsbetreuung aus den Kitas an die Primarschule zu verlagern.
"Die Sache hört sich erst mal gut an", sagt Tobias Buck vom "Hamburger Bündnis Hortbetreuung". Ab dem Herbst 2011 können alle Primarschulkinder von 8 bis 16 Uhr kostenlos betreut werden, auch wenn die Eltern nicht berufstätig sind. "Aber der Teufel steckt im Detail."
Die Initiative stört, dass die Erzieher-Kind-Relation verschlechtert wird. Geplant sind drei Typen von Primarschulen: echte Ganztagsschulen mit Unterricht bis 16 Uhr, normale Halbtagsschulen bis 13 Uhr und "offene Ganztagsprimarschulen", an denen ab 13 Uhr eine Betreuung geboten wird - sobald es Bedarf für zwei Gruppen gibt. Anders als bisher sollen dort ein Erzieher oder eine Erzieherin in der Regel nicht 17, sondern 25 Kinder betreuen. "Das sind zwei Erzieher mit 50 Kindern", sagt Buck. "Damit wird man den Kindern nicht mehr gerecht."
Die Relation verschlechtert sich, weil der Senat das Projekt kostenneutral plant. Eine Projektgruppe aus Sozial- und Schulbehörde geht in einer Vorstudie davon aus, dass 40 Prozent die Nachmittagsbetreuung nutzen. Bisher gibt es aber nur rund 18.900 Hortplätze für etwa 23,3 Prozent der Kinder. "Der Senat will künftig rund 10.000 Kinder mehr betreuen, ohne einen Erzieher einzustellen", kritisiert Kitapolitikerin Carola Veit von der SPD.
Auch die Kita-Verbände sehen die Sache kritisch. Unter anderem fürchten sie "massive Deckungslücken in der Schulkindbetreuung", weil das alte Hortsystem ab Herbst 2011 auf einen Schlag ganz abgeschafft werden soll. Nur Kitas in 500 Meter Entfernung zu Schulen könnten weiter Schulkindbetreuung anbieten, aber zu schlechteren Bedingungen als früher. Neben den Erzieherstellen wird auch die Leistungspauschale stark gekürzt.
Diese Aussicht führt dazu, dass Kitas ihre Horte in Krippen umwandeln. Zugleich scheint fraglich, ob an allen Schulen bis 2011 die Horte eröffnen. Nach einer Rechnung der Kita-Verbände wären dafür 950 neue Räume nötig. "Es ist eine exponential ansteigende Dynamik eines Hortplatzabbaues zu erwarten", schreibt der Wohlfahrtsverband Soal und warnt vor Zuständen, die das "Kita-Chaos" von 2003 noch in den Schatten stellen. Bereits nach den Sommerferien könnten Eltern dies zu spüren bekommen.
Auch Buck weiß von Schulen, die keinen Platz für Horte haben. Er und seine Mitstreiter fürchten, dass ihre Kinder künftig in lieblos zu "Multifunktionsräumen" umgebauten Pausenhallen die Nachmittage verbringen. "Da sagen viele, da löse ich die Betreuung lieber irgendwie privat."
Schulbehördensprecher Jan Bruns verweist darauf, dass es sich bei dem Projektbericht nicht um eine fertige Drucksache handele: "Insofern ist da noch Veränderungspotenzial."
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