: Schule versäumt
■ Flüchtlinge behielten Kinder zuhause
Von 145 Schultagen fehlte Sudka 96 Tage in der Schule an der Brakkämpe. Auch ihre Schwester Sardella kam öfter nicht in die Schule. „Ich glaube, daß sie nicht so häufig krank waren wie sie gefehlt haben. Sie wurden nicht zur Schule geschickt aus irgendwelchen Gründen“, sagte gestern Ulrike Dombek, Schulleiterin der Schule für geistig behinderte Kinder vor dem Amtsgericht.
Die Familie A. kommt aus Mostar in Bosnien und beantragte in Bremen Asyl. Drei der acht Kinder sind behindert und im schulpflichtigen Alter. Warum gingen sie nicht in die Schule? Der Richter dringt nicht recht durch mit seiner Frage. Nein, es ginge nicht um die Wohnverhältnisse, sondern um die Schule, beharrt er. Der Angeklagte A. erläutert mit der Hilfe einer Dolmetscherin dennoch, wie schrecklich die Wohnverhältnisse in der ehemaligen Unterkunft gewesen seien. Die zehnköpfige Familie mußte zeitweilig in einem Raum in der Steinsetzer Straße wohnen, kochen, schlafen, ehe sie nun in Huchting in einer „Baracke“ genug Platz gefunden hat.
Staatsanwalt Hampf beeindruckte diese Erzählung nicht: „Sie können doch nicht die Kinder zu Hause lassen, damit sie eine bessere Wohnung bekommen?“ Er konnte keinen Zusammenhang erkennen zwischen einer kaputten Dusche und dem Schulbesuch. Der wurde erst durch die Ausführungen eines Sozialarbeiters aus der Steinsetzerstraße klarer. „Wir erwarten immer Dankbarkeit für das, was wir den Flüchtlingen an Wohnraum zur Verfügung stellen. Aber ich würde da nicht wohnen wollen, vor allem nicht mit acht Kindern“, sagte er. So hätte es dort oft Streit um die Gemeinschaftsduschen gegeben. Die anderen MitbewohnerInnen hätten sich beschwert, daß der Angeklagte A. die Duschen nicht saubergemacht hätte, nachdem er seine manchmal mit Kot beschmierten behinderten Kinder dort gewaschen habe. A. wiederum wollte die ungewaschenen Kinder nicht in die Schule schicken.
Dieser Zusammenhang sowie die Erklärung der Angeklagten, daß sie ihren Kindern die Schule nicht grundsätzlich verweigerten, stimmten den Staatsanwalt milde. Er sah von einer Strafe ab und verhängte gemeinsam mit dem Richter eine Geldbuße in einer Gesamthöhe von 300 Mark. Denn so ganz sicher war sich offenbar zum Schluß der Verhandlung keiner: Haben die Angeklagten wirklich verstanden, daß ihre Kinder schul- pflichtig sind? Die Geldbuße sollte ein Merkzettel sein. Das Geld werden die beiden von ihrer Sozialhilfe (gemeinsam 869 DM ohne die Miete) bezahlen. Verletzte Schulpflicht könne andernfalls mit bis zu sechs Monaten Freiheitsstrafe geahndet werden, drohte der Richter. vivA
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