: Schuld ist immer der Trainer
Der 1. FC Union Berlin verliert das erste Heimspiel in der neuen Zweitligasaison mit 0:2 gegen FSV Mainz O5. Der bisherige Reizgegner konnte die Köpenicker nicht wirklich motivieren, muss Trainer Wassilev zugeben. Nur sein Vereinspräsident grinst
von ANDREAS RÜTTENAUER
„Die Zeit des Heulens ist vorbei!“ Vor Spielbeginn rollten Fans des FC Union im Köpenicker Stadion ein riesiges Transparent aus, wohl in der Absicht, die Verhöhnung des FSV Mainz 05, die in der letzten Runde der vergangenen Spielzeit für Schlagzeilen gesorgt hatte, am ersten Spieltag der neuen Zweitligasaison fortzusetzen.
Angeblich hatte der Mainzer Trainer Jürgen Klopp die Berliner seinerzeit als „Kloppertruppe“ bezeichnet, wovon sich Spieler und Anhänger von Union gleichermaßen beleidigt fühlten. Union vermasselte den Mainzern durch einen 3:1-Sieg den Aufstieg in die Erste Liga. Hohn und Spott wurden kübelweise auf die niedergeschlagenen Verlierer ausgegossen.
Dieser beispiellose Schadenfreudeexzess fand am Samstag aber keine Fortsetzung. Die Unionfans waren zwar ähnlich aggressiv wie drei Monate zuvor, die Mannschaft jedoch zeigte vor allem in der ersten Hälfte beinahe keinen Siegeswillen.
Bis zum 0:1 durch einen von Andrej Woronin verwandelten Foulelfmeter (37. Minute) spielten die Köpenicker so, als wären sie mit einem Unentschieden zufrieden. Die Abwehr stand massiert und das Offensivspiel bestand aus einigen eher unmotiviert wirkenden langen und hohen Bällen nach vorne, denen Mittelstürmer Sreto Ristic hinterhersah, als wäre er Zuschauer einer Flugschau.
Es war ein unerfreuliches Wiedersehen mit den alten Bekannten der vergangenen Saison. Vor allem das Mittelfeld wurde beinahe kampflos den Gästen überlassen. Cristian Fiel, der schon gezeigt hat, dass er in der Lage ist, Spiele ganz allein zu entscheiden, bewegte sich wie ein Varietékünstler, der einen Zeitlupenmenschen gibt. Hristo Koilov fiel nur auf, wenn er sich über einen Pfiff des Schiedsrichters beklagte, Kostadin Widolow und Jiri Balcarek fielen gar nicht auf.
Union-Trainer Georgi Wassilev hatte vor Wochenfrist kundgetan, dass die neu verpflichteten Spieler nicht stärker einzuschätzen seien als die Kämpen der Vorsaison. Konsequenterweise stand am Samstag keiner der Neuzugänge in der Startformation.
„Ich konnte die Mannschaft wohl nicht genug reizen“, meinte der bulgarische Coach nach dem Spiel, selbst ein wenig ratlos wirkend. Wie will er, so möchte man fragen, die Mannschaft auf ein so genanntes gewöhnliches Zweitligaspiel gegen einen Club wie die SpVgg Greuther Fürth einstellen, wenn es ihm nicht einmal gelingt, seine Spieler gegen die Mainzer ausreichend zu motivieren, mit denen Union immerhin eine Vorgeschichte mit Zündstoff verbindet?
Dass Wassilev nicht unbedingt Recht hat mit seiner Beurteilung des Spielvermögens der Neuverpflichtungen, zeigte nach dem Wechsel der für den überforderten Stürmer Petar Divic eingewechselte Exhannoveraner Salif Keita. Mehrere Male setzte er sich sehenswert durch, forderte Bälle und lief sich frei. Beinahe hätte er per Kopf den Ausgleich erzielt, doch der Mainzer Torwart Dimo Wache lenkte den Ball an die Latte.
Viel mehr allerdings hatten die Köpenicker nicht zu bieten. Woronins Kontertor (76.) brachte schließlich die endgültige Entscheidung.
Warum Union-Präsident Heiner Bertram nach dem Spiel bis über beide Ohren grinsend über das Spielfeld spazierte, blieb für die Betrachter unergründlich. „Ein verdienter Sieg“, stellte er fest, und wer sein Gesicht nicht kennt, der hätte meinen können, da habe ein Verantwortlicher vom FSV aus Mainz gesprochen. Erst auf Nachfrage versichert er, enttäuscht zu sein. Aber auch das sei nicht wirklich schlimm, dann müsse man eben das nächste Spiel in Mannheim gewinnen. Der Trainer werde das schon richten. So einfach ist das also.
Trainer Wassilev wird die Botschaft wohl vernommen haben und reist am kommenden Freitag mit gehörigem Druck auf den Schultern in den Südwesten. „Wenn die Mannschaft verliert, ist immer der Trainer schuld“, meinte er, so als mache er sich schon auf einen unfreiwilligen Abschied von Union gefasst. Im Gegensatz zu seinem Chef sah Wassilev traurig aus nach der Niederlage.
Ganz anders Gästetrainer Klopp: Der konnte wieder seine Lieblingsrolle aus der Vorsaison geben, den Strahlemann. Ihn hat es am meisten gefreut, dass die Union-Anhänger Recht behalten haben an diesem Tag: Für die Mainzer ist die Zeit des Heulens in der Tat vorbei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen