: Schüsse auf demonstrierende Schüler in Madrid
■ Eine Großdemonstration der spanischen Schüler– und Studentenbewegung endete mit einem brutalen Polizeieinsatz / Die Schüler wollen ab heute einen Unterrichtsboykott organisieren / Sie fordern den Rücktritt des Innenministers und des Erziehungsministers
Aus Madrid Hella Schlumberger
Die spanischen Schüler– und Studentenproteste weiten sich offenbar zu den massivsten Jugendprotesten seit dem Ende des Franco– Regimes aus. 200.000 hatten am Freitag in Madrid gegen die als „ungerecht und unsozial“ empfundenen Aufnahmeprüfungen für die Uni, für höhere Stipendien, eine Senkung der Studiengebühren und mehr Mitbestimmung demonstriert. Die Demonstration endete in einer „Feldschlacht“ rund ums Erziehungsministerium. Vorläufige Bilanz: 17 Demonstranten, 14 Polizisten und ein Taxifahrer wurden verwundet, neun Demonstranten verhaftet, drei Polizisten vom Dienst suspendiert. Die Polizei war mit äußerster Brutalität vorgegangen und hatte Tränengas, Wasserwerfer und Gummi–Geschosse eingesetzt. Die 15jährige Schülerin Maria Luisa Prada wurde mit einer Kugel im Gesäß in ein Krankenhaus eingeliefert. Trotz Rückzugsbefehl hatten drei motorisierte Polizisten „aus Angst um ihr Leben“ ihre Pistolen gezogen und geschossen. Auf den Straßen fanden sich viele Neun– und Zwölf–Millimeter–Geschoßhülsen. „Das sind doch keine Polizisten, das sind Söldner“, sagte der Vater von Maria Luisa, „wie kann man nur auf Kinder schießen?“ und reichte Klage ein. 2.000 Ordner waren von der Schüler– und der Studentenvertretung, die diese Kundgebung gemeinsam organisiert hatten, aufgeboten worden, um den friedlichen Ablauf zu garantieren. 3.000 „Provokateure“, sagen die Veranstalter, waren aber schon vor Ankunft des Zuges vor dem Erziehungsministerium, wo sie sich mit der Polizei anlegten. Rechtsradikale waren zwar erwartet worden (es waren denn auch zum größten Teil Anhänger von Real und Atletico Madrid), aber daß die Polizei sich weniger darum kümmerte, sie zu zerstreuen, als auf die anderen einzuschlagen und zu schießen, hatte niemand erwartet. „Muß denn, wie in Frankreich, erst einer von uns sterben“, schreibt Juan Ignacio Ramos, Sprecher der spanischen Studentengewerkschaft in einem offenen Brief an den Erziehungsminister Maravall, „bis man uns zuhört?“ Zweieinhalb Millionen Schüler und Studenten hatten sich in der vergangenen Woche in ganz Spanien bewegt, hatten öffentliche und private Bildungsstätten lahmgelegt. Am Abend vor der Abschlußdemonstration am Freitag hatten, o Wunder, die beiden Fernsehprogramme ihre stunden langen Diskussionsrunden demselben Thema gewidmet: „Was wollen die Studenten nun eigentlich?“ Aber über die konkreten Forderungen der Studenten, über die wiederholten Versicherungen des Generalsekretärs Rubalcaba vom Erziehungsministerium, daß sie gesprächsbereit seien und man vielleicht hie und da ein bißchen reformieren könnte, und eher hilflosen Versuchen einiger Soziologen, das Unwohlsein der Jugend zu umschreiben, kamen die Tele– Diskussionen auch nicht hinaus. Für Montag riefen die Schülervertretungen zum Schulstreik auf. Auf einer Demonstration am Samstag forderten sie den Rücktritt des Innenministers und des Erziehungsministers, den sie für den harten Polizeieinsatz verantwortlich machen. Frankreich läßt grüßen.
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