Nachgefragt: „Schritt für Schritt“
■ Tuzlas Bürgermeister im taz-Interview Flüchtlinge nach zurückführen
Am Dienstag hat die grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck in Berlin das Bundesverdienstkreuz erhalten. Mit dem Orden wird das Engagement der Bremerin für die Bosnienhilfe „Brücke der Hoffnung“ gewürdigt. Anläßlich der Verleihung war auch Selim Beslagic, Bürgermeister von Tuzla, der zweitgrößten Stadt Bosniens, angereist. Wir haben mit ihm über die Lage vor Ort und über die Rückführung der Flüchtlinge gesprochen.
taz: Wie sieht die soziale Situation der Menschen in ihrer Region aus?
Selim Beslagic, Bürgermeister von Tuzla: Es gibt immer noch sehr, sehr viele, die am Tropf der humanitären Hilfe hängen. Noch haben wir keinen produktiven Arbeitsmarkt aufbauen können.
In Bonner Regierungskreisen wird behauptet, daß die bosnische Regierung auf die Rücckehr der Flüchtlinge wartet, weil jede Hand gebraucht werde.
Ich bin völlig der Ansicht, daß alle Flüchtlinge zurückkomen sollen. Aber vorher müssen wir Arbeitsplätze und Unterkünfte schaffen. Die Menschen sollte man erst mal in Deutschland behalten, statt sie nach Bosnien zu schicken, wo sie wieder in kollektiven Flüchtlingszentren von humanitärer Hilfe abhängig sind.
Im letzten Jahr hat Tuzla 25.000 Flüchtlinge aus Srebrenica aufgenommen. Wieviele RückkehrerInnen kann die Stadt momentan verkraften?
Tuzla ist voll, es gibt wenig Kapazitäten. Wir haben fünf Flüchtlingszentren in Schulen, Kindergärten usw. mit je 1.500 Menschen. Die müssen jetzt dort überwintern. Es müssen dringend neue Häuser gebaut werden. Gerade versuchen wir 200 Wohnungen zu bauen, die reichen für 800 Menschen – ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wann sollte man die BosnierInnen aus Deutschland zurückführen?
Das muß schrittweise gehen. Es wird lange dauern, bis wir Bedingungen zum Leben geschaffen haben. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir nur etwa 20 Flüchtlinge aufnehmen.
Der Bremer Innensenator Borttscheller hat kürzlich mit Zwangsrückführungen gedroht.
Damit würde sich für die Flüchtlinge das wiederholen, was sie kennen: Gewalt. Das ist so, als würde man die Gewalt nach Bosnien zurücktransportieren.
Was halten Sie von deutschen Rückkehrprogrammen und der Idee, den Flüchtlingen Geld mitzugeben?
Was helfen Programme, wenn die Menschen zurückkommen und keine Arbeit und kein Zuhause vorfinden? Es hilft nichts, den Rückkehrern Geld mitzugeben. Man schafft damit sozialen Sprengstoff, wenn die mit Devisen ins Land kommen.
Welche Programme sind also nötig?
Bisher geht der größte Teil der Wiederaufbauhilfen über die Weltbank und die EU. Solange das Geld nicht projektbezogen eingesetzt wird, verpufft diese Hilfe. Wir bitten die Bundesregierung dafür zu sorgen, daß mit uns konkrete Projekte vor Ort aufgezogen werden z.B. Wohnungsbau und Kreditvergaben für Handwerksbetriebe.
Nach welchen Kriterien sollte die Rückkehr erfolgen?
Das Problem ist, daß die Ausländerämter keine genauen Daten haben, woher die Menschen kommen. Sie gehen nach dem Familienstand vor, so sollen z.B. Alleinstehende und Kinderlose zuerst gehen. Man muß fragen, woher die Menschen kommen und ob sie dort momentan sicher sind. Hier wird zu statisch vorgegangen.
Marieluise Beck hat das Bundesverdienstkreuz für die Bosnienhilfe erhalten...
...worüber ich sehr glücklich bin. Wir haben nicht viele solcher Freunde, deshalb stehen wir tief in ihrer Schuld.
Int.: hoff
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