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Schreiben unsere Kids besser?

„Schreibvergleich BRD-DDR“ legt Zwischenbilanz vor/ Ostintensivmethode nur bei Diktat bewährt/ Keine Probleme bei englischen Popnamen und Wortmonstren wie „Dinosaurier“  ■ Von Michael Weisfeld

Kinder aus der ehemaligen DDR sind in der Rechtschreibung sicherer als Schüler aus dem Westen — wenigstens auf den ersten Blick. Bei einem „Schreibvergleich BRD-DDR“ schnitten die ostdeutschen Schüler besser ab, allerdings nur beim Diktat. Da machten sie ein Drittel weniger Fehler als ihre Altersgenossen. Bei der Auswertung von Aufsätzen war die Fehlerquote bei „Ossis“ und „Wessis“ dagegen fast gleich. Mehr als 900 Grundschüler aus der Ex- DDR und 1.800 Kinder aus dem Westen haben im Sommer 1990 an den Tests teilgenommen. Alle mußten das gleiche Diktat schreiben und einen Aufsatz mit dem Thema Mein Traum.

Neun von zehn Wörtern richtig geschrieben

Pädogogikwissenschaftler aus Bremen, Rostock und Berlin werteten die Ergebnisse des Schreibvergleichs jetzt in Bremen aus. „Die landläufige Klage, Kinder könnten nicht mehr richtig schreiben, ist unberechtigt“, meint Hans Brüggemann, Professor für Anfangsunterricht an der Bremer Universität. In ihren Aufsätzen hätten die Grundschüler am Ende der vierten Klasse neun von zehn Wörtern richtig geschrieben, gleichgültig ob sie im Westen oder im Osten unterrichtet worden sind. „Das ist eine erstaunliche Leistung“, meint Brüggemann. Daß die Ergebnisse beim Diktat so auseinanderklaffen, führen die Wissenschaftler auf unterschiedliche Lehrmethoden zurück.

In der alten Bundesrepublik hätten die Lehrer in den vergangenen Jahren ihre Schüler frei schreiben lassen, ohne sofort mit dem Rotstift Jagd auf Fehler zu machen, berichtet Brüggemann. In der einstigen DDR sei dagegen ein Mindestwortschatz von 1.500 Wörtern intensiv geübt worden. Deshalb hätten die Kinder diese Wörter im Diktat richtig wiedergeben können. Bei dem Aufsatzthema Mein Traum seien dann aber auch Wörter außerhalb des Mindestwortschatzes vorgekommen, sagt Brüggemann. So hätten sie über so fehlerträchtige Namen wie diejenigen von englischen Popstars oder das Wortmonstrum „Dinosaurier“ geschrieben.

Der „Laufstalleffekt“

„Laufstalleffekt“ nennen die Wissenschaftler das Ergebnis der Rechtschreib-Paukmethode aus der früheren DDR. Der immer wieder geübte Wortschatz stütze die Kinder beim Rechtschreiben wie das Laufställchen bei den ersten Schritten — aber nur innerhalb eines eng umgrenzten Bereichs, meint Brüggemann. Durch intensives Üben könnten die Kinder die Testwörter buchstabieren, aber sie seien nicht davor sicher, sie bei der Schilderung, etwa ihrer Träume, doch wieder falsch zu schreiben.

Keine Methode favorisiert

Ein Urteil über die Unterrichtsmethoden in Ost und West haben die Wissenschaftler damit noch nicht gefällt. „Weder eine bestimmte Methode noch ein bestimmtes pädagogisches System führen zu einer generell besseren Rechtschreibung“, betont Brüggemann. Weitaus wichtiger sei der persönliche Stil des Lehrers und welche Atmosphäre in der Klasse herrsche. Das sei weitgehend von der Erfahrung des Lehrers abhängig, von der Breite seines pädagogischen Repertoirs, von seiner Fähigkeit, flexibel auf die Klasse einzugehen und Lehrplan auch einmal Lehrplan sein zu lassen.

Bei der Analyse des Schreibvergleichs haben die Wissenschaftler nämlich herausgefunden, daß es auch große Unterschiede nicht nur zwischen den Schülern, sondern auch zwischen ganzen Klassen gibt, und das sowohl westlich als auch östlich der ehemaligen Grenze. In dieser Richtung wollen Professor Brüggemann und seine Kollegen weiterforschen: Eine Mikroanalyse soll die einzelnen Teilschritte des Lernens ans Licht bringen. Besonderes Augenmerk wollen die Forscher dabei auf das soziale Klima in der Klasse legen. Eine Klasse aus Bremen und eine aus der Partnerstadt Rostock sollen für eine Fallstudie ausgewählt werden. ap

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