Vor hundert Jahren (6): Schreck bei Eisfest
■ Der Piston-Solist trägt's mit Humor
Der Winter kehrt zurück aus dem Nordosten, da steigen die Chancen auf ein neues Eisvergnügen auf einem der zugefrorenen Bremer Seen. Doch auch bei solchen Festivitäten heißt es: Gebt Obacht! Und hütet Euch vor allen erdenklichen Willfährigkeiten. Denn wozu ein allzu fahrlässiges Verhalten bei Planung und Ausrichtung eines derartigen Festes führen kann, hat taz-Mitarbeiterin Anja Robert beim jüngsten Stöbern im Archiv herausgefunden.
Lustiges Leben herrschte auf dem Eisfest auf dem Hollersee. Ein eigenthümlich reizvoller Anblick war es, die zahlreiche Menge auf der breiten Fläche sich tummeln zu sehen, die im blendenen Licht der Bogenlampen silbern schimmerte. Die Cappelle hatte ihren Platz in unmittelbarer Nähe des Parkhausufers auf einem festen Podium. Von da aus ließ sie ihre munteren Weisen erschallen. Der Wirth des Parkhauses (heute Parkhotel; Anm. d. Red.) hatte in anerkennenswerter Sorgsamkeit einen Coaksofen auf das Podium schaffen lassen. Nicht ohne kritische Bedenken betrachteten seit einiger Zeit die Herren Musiker die sich stetig erweiternde Wasserfläche, welche sich um das Podium gebildet hatte. „Na, wir sind ja gleich fertig!“ heißt es zur Beschwichtigung mißtrauischer Regung, da sinkt mit jähem Ruck das Podium mitsammt seiner Last in das eisig-nasse Element! Oh, grausiger Schreck! In den nächsten Augenblicken ein wirres Durcheinander von Musikern, Instrumenten und Bretterwerk. Doch horch, welch ein schmetternder Ton durch all das Geschrei! Der Piston-Solist ist es, der kein Tittel'chen seines Humors verloren. An eine aus dem Wasser ragende Kante hält er sich angeklammert und versucht kecklich, den Refrain zu Ende zu blasen – Aber auch er muß hinunter in die kalte Fluth! Daß es da drunten fürchterlich war, kann man sich lebhaft vorstellen; einen geradezu ungeheuerlichen Schrecken aber bekam jener bis an den Hals Hineingefallene, in dessen nächster Näher der Coasksofen in die nasse Umarmung sank. Ein Zischen und Sausen um die Ohren des Armen, daß er glauben mußte, es gehe stracks zum Höllenpfuhl. Allmählich hört das Geplantsche auf, denn Alle sind wieder glücklich auf dem Trockenen. Vier Herren hatten bis an den Hals hinan in der eisigen Fluth gesteckt, die Instrumente waren gerettet worden, die Notentaschen und Stäbe des Glockenspiels aber ruhen sanft auf dem Grunde des See's. Bremer Courier, 18.1.1897
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen