: Schotte, Russe und Deutscher
■ Bremer Wehrmachtsdeserteur im schottischen Fernsehen / Versöhnung der Kriegsteilnehmer
Ludwig Baumann auf dem Weg zur VersöhnungFoto: Jörg Oberheide
„Geht's los?“ Ludwig Baumann (72) strafft die Brust. Nein, das BBC-Team aus Schottland weiß noch nicht, in welcher Richtung der Intercity aus dem Bremer Hauptbahnhof fährt. Es zieht auf Bahnsteig 5. Anstrengend findet Baumann den Dreh trotzdem nicht, da hat er schon ganz anderes erlebt. Als er etwa für RTL immer wieder den Wallgraben im Wehrmachtsgefängnis Torgau auf und ab gehen mußte, den Graben also, an dem so viele seiner Mitgefangenen erschossen worden sind.
Ludwig Baumann, vielen BremerInnen bekannt als „der Mann mit den Pappen“, der jedes Jahr wieder den Rekruten auf dem Bahnhof erklärt, warum er damals, 1942, desertiert ist, dieser Baumann hat mittlerweile Medienerfahrung. „Was soll ich denn zum Ausdruck bringen?“, fragt er den Kameramann. Nur auf der großen Fahrplantafel nach seinem Zug suchen soll er. Großaufnahme vom Gesicht unter der kleinkarierten Schiebermütze. Die Hand des Kameramanns krabbelt durch die Luft, der alte Mann soll ihr mit den Augen folgen. Was tut man nicht alles für die Völkerverständigung!
Denn morgen geschieht, was
hier bitte das Foto
mit dem Mann auf
dem Bahnsteig
sich zunächst wie ein Witz anhört: Treffen sich ein Schotte, ein Russe und ein Deutscher ... Es geht jedoch nicht um Weiber und Wein, sondern um den Krieg. Alle drei nämlich sind Kriegsveteranen. Der Schotte, ein kleiner Bauer, war in deutscher Gefangenschaft in Polen, der Russe war Arzt in der Armee und Jude, und der Deutsche ist desertiert. Sie sollen sich in Berlin treffen und
sich versöhnen. Immer mit dabei das schottische BBC-Team. Gestern wurden die drei Männer zeitgleich in ihren Wohnungen gefilmt und bei der Abfahrt nach Berlin, morgen sitzen sie sich schon gegenüber. Ausgestrahlt wird das Ganze zu bester Abendsendezeit in einem Europamagazin am 11.11., dem britischen Volkstrauertag.
Ludwig Baumann sieht dem Treffen gelassen entgegen: „Mit Russen hab' ich als Deserteur sowieso immer gut gekonnt, Schotten kenn' ich nicht — werd' ich wahrscheinlich auch mögen.“ Mit Aufregung sieht er da ganz anderen Dingen entgegen: Beraten doch in dieser Woche ParlamentarierInnen der CDU und der FDP, ob sie einen Antrag der SPD unterstützen sollen: Darin wird der Bundestag aufgefordert, alle Verurteilungen während des Dritten Reiches wegen Fahnenflucht und Wehrdienstverweigerung als Unrechtsurteile zu bezeichnen. Dann nämlich bekämen die überlebenden Deserteure endlich Entschädigung für die erlittenen Qualen. Baumann selbst hat in einem mühsamen Verfahren mit Widerspruch und Klage für sich im August eine Entschädigung erstritten: monatlich 800 Mark.
Als Präzedenzurteil eignet es sich jedoch nicht. Schmähbriefe folgten dennoch auf dem Fuß: „Ich hatt' einen Kameraden, er wurde von einem Schwein verraten. Er bekam ein Heldengrab, das Schwein 800 Mark!“ Selbst wenn es endlich für alle Deserteure eine Entschädigung gäbe — Baumann fürchtet, daß davon nur wenige hundert etwas hätten. Die anderen sind entweder tot, sagt er, oder trauen sich noch immer nicht, sich vor ihren Familien als Deserteure zu bekennen. cis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen