: Schornstein aus - aber die Luft bleibt dreckig
■ Die Lobstädter Brikettfabrik ist stillgelegt / Ein erster Schritt, den Braunkohle-Raubbau im Süden zu beenden / Mitte April wird demontiert
Die Lobstädter Brikettfabrik sieht nicht älter aus als die meisten anderen, die südlich von Leipzig vor allem um die Kleinstadt Borna herum seit der Jahrhundertwende qualmen, Braunkohle aus dem Revier trocknen und zu Briketts pressen. Den 90. Jahrestag hätte die Belegschaft im Herbst begehen können, aber seit dem 1. April ist der Schornstein aus - der erste konkrete Schritt, die hohe Umweltbelastung durch den Braunkohleraubbau im Süden der DDR zu verringern. Weitere Brikettfabriken sollen folgen.
„Beinahe wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam die Entscheidung“, so der Leiter der Fabrik, Rudolf Schroll. „Wenige Tage vor Weihnachten hieß es plötzlich: Ab 1. Januar macht ihr dicht. Das kann man doch mit unseren Leuten nicht machen. Ein Vierteljahr hat ohnehin jeder Kündigungsschutz. Außerdem schreibt auch das noch gültige Arbeitsgesetzbuch einen ähnlichen Zeitplan vor, wenn man Leute umsetzt und mit ihnen einen Überleitungsvertrag abschließt. Das mußte gründlich beraten und auch von der Gewerkschaft abgenickt werden. Deshalb bekamen wir noch eine Gnadenfrist.“
Das mit dem „Blitz aus heiterem Himmel“ stimmt wohl nicht ganz, denn von einer Stillegung der Fabrik wird seit den 60er Jahren immer mal wieder gesprochen. Damals hing das noch mit dem Erdölrausch zusammen. Dadurch schien die Kohle überflüssig zu werden. Investitionen gab's keine mehr. Maßnahmen für den Umweltschutz wie moderne Filter waren ebenso passe. Im Gefolge der Ölkrise redete keiner mehr von Schließung, aber Investitionen erfolgten trotzdem nicht. So blieb das Thema immer aktuell.
„Endlich ist die Ungewißheit vorbei“, so sah es der Formenleger und Schleifer Lothar Trzebinsky, der seit 17 Jahren in der Lobstädter Fabrik arbeitete. Zusammen mit fünf anderen wechselte er ein Dorf weiter. In Großzössen läuft eine ähnliche Fabrik, in der jede Menge Arbeitsplätze zu besetzen sind. Auch dort braucht man ihn als Schleifer - nun sogar in zwei Schichten. Damit steigt sein Verdienst. Darüber freut er sich, sieht aber dem Neuen auch mit gemischten Gefühlen entgegen. In Lobstädt herschte ein ausgezeichnetes Klima zwischen den Kollegen. Übrigens hatte in den stürmischen Monaten, die hinter ihnen liegen, keiner die Truppe Richtung Westen verlassen, obwohl das Durchschnittsalter gering war.
Rund 20 blieben von den 121, die bis zum Schluß noch jeden Tag um die tausend Tonnen Braunkohlenbriketts herstellten 1450 Tonnen waren das technisch Mögliche, aber die Fabrik wurde nicht mehr voll ausgefahren. Mit Lobstädt verlor das Braunkohlenwerk Borna, zu dem sie gehörte, rund ein Zehntel seiner Brikettierkapazität. Diejenigen, die zusammen mit Rudolf Schroll bleiben, fahren die Anlagen vorsichtig ab. Das dauert bis Mitte des Monats. Dann wird demontiert, was relativ neu ist - beispielsweise einige Pressen - und anderen Brikettfabriken übergeben. Älteres Gerät wird verschrottet, verschlissene Gebäude schleift man. Dann sind Neubauten vorgesehen - für Nebenbereiche des Braunkohlenwerks. Es scheint, hier rechnet man noch immer mit weitgehend unverändertem Fortgang des Braunkohlenbergbaus.
Die Mehrzahl der Lobstädter wechselt in die gleichen Berufe in anderen Fabriken, die meist kaum weniger als 90 Jahre auf den Dächern haben. Kommt dort das Aus in ein, zwei Jahren ebenfalls - was dann? Einige nehmen auch Einbußen in Kauf, wenn sich dadurch ihre Lebensbedingungen verbessern. Beispielsweise hat Monika Haring 18 Jahre in einem Tagebau gearbeitet. Als die Kinder erwachsen waren, folgte sie ihrem Mann in die Brikettfabrik, wo sie als Brigadeleiterin der Verladung arbeitete. Zusammen mit dem Ehepartner wird sie künftig in den Saisonmonaten das Ferienobjekt des Betriebs in Graal-Müritz in Mecklenburg bewirtschaften. Im Winter soll sie in der Küche der Kinderkrippe in Borna arbeiten, ihr Mann als Hausmeister und Heizer. Beide werden weniger als jetzt verdienen, freuen sich aber auf die neuen Aufgaben.
Konrad Neumann, Tagesmeister und Chef der Gewerkschaft in der Fabrik, hatte die beruflichen Veränderungen aller mitberaten und die entsprechenden Protokolle mitunterzeichnet. Bis zum Schluß lief nichts ohne die Gewerkschaft. Er zeigt zum Fabrikgebäude, wo die schwarz-rot -goldene Fahne neben der grünweißen Sachsens weht: „Vereinigung wollen jetzt alle. Aber ob unsere Kumpel mit der relativ niedrigen Qualifikation, die hier im Bereich herrscht, dann noch was zu lachen haben - ich weiß nicht. Ein soziales Netz, das einem ds Hungern erspart, das allein kann's doch nicht sein, wonach jetzt alle rufen. Das heißt, eigentlich sind ja nur wenige laut. Die meisten sind leise und haben Sorgen. Wer nimmt aber darauf wirklich Rücksicht?“
Die Lobstädter freuen sich über die Stillegung. Zwar wohnen sie in einem ohnehin hochbelasteten Ge-biet, was die Luft angeht. Aber FÜLLERZEILE
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wenn der Schlot vor der Haustür nicht mehr qualmt, so meinen sie, dann wird vieles besser. „Das wird hier jeder sagen“, versichert Petra Ermes, Verkäuferin im Lebensmittelkonsum des Ortes, einer Stelle, an der ja auch Meinung weitergegeben wird. Was die Brikettwerker wissen, ist aber offensichtlich noch nicht bis hierher gedrungen: Die Fabrik steht östlich vom Dorf. Meist weht bei uns Westwind. Der Dreck der Lobstädter Luft kommt von Neukieritzsch her, wo ebenfalls eine große Fabrik nahezu ohne irgendwelche Umwelttechnik arbeitet. Noch weiß keiner, wann die dicht macht. Und was die Leute dann zu tun kriegen, die jetzt dorthin wechseln, das steht in den Sternen. Lobstädts Luft aber wird vorerst bleiben, was sie war - dreckig.
Thomas Biskupek
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