: Schonfrist für S-Bahner
■ Westberliner S-Bahn soll 1994 von der Reichsbahn übernommen werden / Verkehrssenator Wagner erzielte Kompromiß mit Bonn / Letztes Wort über S-Bahn trotzdem noch nicht gesprochen
West-Berlin. Die Zukunft der S-Bahn in West-Berlin ist vorerst geklärt. Zumindest bis Ende 1993 wird sie nach wie vor unter der Regie der BVG fahren. Ab 1994 soll die Reichsbahn, die den S-Bahn-Verkehr in Ost-Berlin und dem Umland betreibt, auch die Westberliner S-Bahn übernehmen. Das handelte Verkehrssenator Horst Wagner (SPD) bei den Ressortbesprechungen über den zweiten Staatsvertrag aus.
Wagner sprach von einem „vorerst akzeptablen Kompromiß“. Der erste Entwurf des Bonner Verkehrsministers Zimmermann habe zunächst den „Rückzug des Bundes aus der Verantwortung für die Berliner S-Bahn vorgesehen“, erinnerte der Senator. Diese Regelung wäre nach Meinung des Westberliner Senats nicht mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen, das die Zuständigkeit des Bundes für den Eisenbahnverkehr festschreibt.
Wagner konnte gestern auf zwei weitere Erfolge verweisen. So habe der Bund seine „Bereitschaft erklärt“, an der Schaffung eines „länderübergreifenden Verbunds des öffentlichen Personennahverkehrs im Raum Berlin“ mitzuwirken. Darüber hinaus soll das „nicht unbeträchtliche“ Vermögen der Reichsbahn in West-Berlin, das bis heute von den Alliierten verwaltet wird, künftig ausschließlich „für Zwecke des Eisenbahnverkehrs“ in West-Berlin verwendet werden. Wie berichtet, wollte Zimmermann dieses Vermögen nicht der Deutschen Reichsbahn zurückgeben, sondern als Sondervermögen des Bundes seinem Ministerium direkt unterstellen. Die jetzt vereinbarte Regelung für die Westberliner S-Bahn betrachtet man im Hause des Verkehrssenators nur als Zwischenlösung. Bis Ende 1993 bleibe jetzt genug Zeit, ein neues Modell auszuhandeln, das einen Einfluß Berlins auf die S-Bahn garantiere. Die S-Bahn sei für den Bund nur „ein Klotz am Bein“. Bonn habe deshalb selbst das Interesse an neuen Regelungen.
Besonders die etwa 1.800 S-Bahner bei der BVG wehren sich dagegen, als Arbeitgeber erneut die Reichsbahn zu bekommen. „Zu den alten Volksgenossen, die ihnen vorher das Leben ziemlich schwer gemacht haben“, wollten viele S-Bahner nicht zurück, bekräftigte gestern Wilfried Mehner, der Personalratsvorsitzende der BVG. Aus Angst vor der Reichsbahn würden sich jetzt schon viele S-Bahner um einen Job in anderen BVG-Abteilungen bewerben. Trotzdem sieht der Gewerkschafter das Problem „ziemlich ruhig und gelassen“. Bis zu einer möglichen Übergabe an die Reichsbahn sei es schließlich noch einige Jahre hin.
Mehners Forderung, auf jeden Fall die „Besitzstände“ der S -Bahner zu erhalten, wurde gestern auch von Verkehrssenator Wagner unterstützt. Wenn die S-Bahn wirklich der Reichsbahn übergeben würde, müsse der Senat „sozialverträgliche Übernahmeregeln“ finden, sagte Wagner-Sprecher Rudolf Steinke. Im Jahr 1993 seien die Löhne bei der Reichsbahn sicher auf demselben Niveau wie im Westen.
hmt
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