: Schon geht es um die Staatsknete
Das Auseinanderbrechen des Staates Jugoslawien ist nicht mehr aufzuhalten, die Bundesorgane entscheiden parteilich / Die slowenischen Milizen wollen schwere Waffen zurückhaben ■ Aus Ljubiljana Ervin Hladnek
Als letzte Woche das Symbol der jugoslawischen Einheit buchstäblich verbrannte, wurde dieser Akt des Vandalismus sogar im ganzen Land durch das Fernsehen dokumentiert. Während eines Fußballspiels zwischen dem kroatischen Star-Team „Hajduk Split“ und dem serbischen Gegner „Roter Stern Belgrad“ zündeten die kroatischen Fans die jugoslawische Flagge an. „Als Zeichen der Zeit“ wertete der Sportreporter das Ereignis. Und der Schiedsrichter pfiff das Spiel ab.
So ein Fußballspiel mag eine Metapher sein, um die gegenwärtige Politik in Jugoslawien zu beschreiben. Das gemeinsame Zusammenspiel der sechs jugoslawischen Republiken liegt schon lange zurück. Die politischen Subjekte des Landes — tatsächlich handelt es sich um mehrere Länder — können nicht mehr übereinkommen, wer der Schiedsrichter und was die Regeln sind. Das Auseinanderbrechen des Bundesstaates ist nicht mehr Gegenstand einer akademischen Diskussion. Sie ist eine politische Realität geworden, die schon in die Prozeduren des Bundesparlaments eingreift und nicht erst nach dem Beschluß Sloweniens, eigene Milizen aufzubauen, die latente Gefahr eines bewaffneten Konflikts in sich birgt.
Noch vor einigen Wochen präsentierte die Staatsführung einen Plan für eine konstitutionelle und politische Reform. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Das Präsidium, das ursprünglich die gesamtjugoslawischen Interessen gegenüber den Republiken und gleichzeitig die Interessen der Republiken gegenüber dem Gesamtstaat vertreten sollte, ist heute im alten Sinne aktionsunfähig geworden. Es ist zu einem Gremium herabgesunken, das lediglich die nationalen Auseinandersetzungen, die im Lande vor sich gehen, widerspiegelt. Wichtig zu wissen ist aber auch, daß die serbische Lobby und die Führung der Armee in diesem Gremium über die Mehrheit der Stimmen verfügen und alle Kritik am Verhalten der Republiken in eine Richtung gehen: die slowenischen, kroatischen und kosovoalbanischen Seperatisten wollten nur das Land auflösen und man sollte sofort harte Maßnahmen gegen sie ergreifen.
Auch die Erklärung vom 3. Oktober, in der Slowenien der Einsatz der Armee angedroht wird, kommt aus dieser Richtung. Selbst die Umstände für die Einberufung der Sitzung, auf der die Erklärung beschlossen wurde, waren eigentümlich. Nationalistische Kräfte innerhalb der serbischen Minderheit in Kroatien organisierten eine bewaffnete Revolte in den Provinzen Kninska Krajina und Banja. Jugendliche stürmten Polizeistationen und konfiszierten Waffen, bauten Barrikaden auf und blockierten den Eisenbahnverkehr zwischen Zagreb und der adriatischen Küste. Die Szenerie, die sich den wenigen Reisenden präsentierte, war sogar für balkanische Umstände spektakulär. Bäume blockierten die Hauptstraßen, große Steinblöcke lagen auf den Schienen, mit Jagdgewehren bewaffnete Milizionäre patroullierten auf den Straßen und druchsuchten die Autofahrer. Die vor allem von Serben bewohnten Gebiete proklamierten die Autonomie ihrer Region. Milizionäre forderten die serbische Regierung auf, Hilfe zu senden und verlangten die Intervention der Armee. Die Straßen sollen sogar vermint worden sein. Die kroatische Spezialpolizei versuchte einzugreifen und das Gesicht zu wahren, aber sie bekam angesichts der waffenstarrenden Milizionäre die Situation nicht in den Griff. Immerhin wurde bei dem Ganzen niemand verletzt. Und genau während dieser operettenhaft anmutenden Rebellion hielt das Präsidium seine Sitzung in Belgrad. Dabei fielen natürlich keine Worte über diesen bewaffneten Aufstand, oder gar über den Bruch der Verfassung gegenüber Kosovo, sondern es wurde nur an die Adresse der ach so seperatistischen Slowenen gedroht.
In Slowenien löste dieses Verhalten keine Überraschung mehr aus. Doch hatte man in Ljubiljana erwartet, daß die faktische Auflösung der Zentralregierung die Kontroverse mildern würde. Denn bei dem Aufbau eigener Milizen, der jetzt so hart vom Präsidium und der Armee kritisiert wurde, hatte die slowenische Regierung bei genauerem Besehen lediglich das Kommando über die Reserveeinheiten in ihrem Bereich übernommen. Die Armee aber sah darin mehr: für sie ist damit die Aufsplitterung der jugoslawischen Armee und die Gründung einer Republikarmee besiegelt. Tatsächlich forderte erst gestern der Kommandeur der slowenischen Milizen die Armee auf, die schweren Waffen, die vor Wochen auf Geheiß der Armeeführung aus Slowenien wegtransportiert wurden, wieder zurückzuerstatten.
Die Aufspaltung des Landes ist eine Tatsache. Bei dieser Veränderung spielt eingentlich nur noch eine Rolle, wer das ökonomische Erbe Jugoslawiens zugesprochen bekommt. Nur von einer Position der Stärke aus kann der größte Brocken einverleibt werden. Es scheint so, als habe die serbische Regierung sowohl über das Instrument des Bundespräsidiums wie in Diskussionen mit der Armee die Weichen zu stellen versucht. Die Armee aber will nach außen weiterhin noch den Schiedsrichter spielen.
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