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Schönste Zeit, Juhugendzeit

■ Ein Rebell erinnert sich: SAT 1 und kein Ende

Alle anderen Programme kann ich an- oder abschalten, selektiv oder sogar kritisch betrachten. Sobald dieser dämliche bal-jingle das nächste Film-„Erlebnis“ anzeigt oder ein Kurztrailer die x-te Folge einer Vorabendserie aus den Mittsechzigern ankündigt, („In wenigen Minuten auf Sat 1“, knarzt eine markige Stimme, Interesse befehlend wie ganz früher die Deutsche Wochenschau vor Moskau), dann bin ich nur noch ein willenloser, amöber Glotzer und höchstens Erdbeben oder schlimmer: Stromausfall könnte mich von der Strahlenröhre reißen. Unendlich müde bedaure ich gegen zwei Uhr nachts vor den sonnigen Kitsch-Tafeln mit dem nächsten Tagesprogramm die sinnlos verdösten Stunden und schleiche mit einer Art seelischen Muskelkaters zu Bett.

Medienpolitisch höchst brisant ist immer wieder die Frage, ob progressiv oder reaktionäre Inhalte von Fernsehprogrammen unser Bewußtsein überhaupt erreichen und wenn ja, wie sie es formen oder verkleben. Gibt es tatsächlich eine „negative Medienwirkung“? Früher galt diese These innerhalb linker Kritik als voraussetzungslos wahr. Die gesamte „Enteignet Springer!„-Kampagne beruhte auf diesem Credo, und der Amerikaner Neil Postman sah schon alle TV-Seher, besonders die jugendliche Vidioten-Schar, auf dem Höllenweg der allgemeinen Verblödung in die „totale Unterhaltungsgesellschaft“ abwärts rasen.

H.M.Enzensberger, der 1967 noch vor den Folgen der sich damals erst am Horizont abzeichnenden „Bewußtseinsindustrie“ warnte, behauptete nun vor einigen Wochen das genaue Gegenteil: Fernsehen sei zum Nullmedium verkommen, die Großhirnrinde des TV-Sehers lasse sich nur noch durch das abstrakte Flackern bunter Bildpunkte oberflächlich kitzeln, eine Ver-Mittlung irgendwelcher Inhalte fände gar nicht mehr statt.

Das mag für das Gesamtgeschehen auf Sat1 und die einschläfernde Gleichförmigkeit seiner pausenlosen Hochspannungs-Präsentation so tatsächlich zutreffen; garantiert weiß kein einziger Zuschauer mehr, was er da vor zwei Tagen gesehen hat.

Dennoch hat Sat1 etwas Besonderes, eine Art Aroma der Erinnerungen, was weder von der RTL-Konkurrenz erreicht wird noch von den Muzak-Flacker-Kanälen aus dem Kabel. Auf Sat1 gibt es vor allem alte Serien und Filme: Sendungen, die man fast alle schon mal gesehen hat oder gesehen zu haben glaubt, auf die eine oder andere Weise jedenfalls immer schon kannte! „Bezaubernde Jeanie“ etwa; erstaunlicherweise die Lieblingssendung einiger sonst hochintelligenter Freunde von mir. Wäre es nur nicht so grausam schlecht gespielt! Und Larry Hagman ist in „Dallas“ nicht besser, nur teurer ... Heute erkennt man darin die gar nicht so unkritische Veralberung der amerikanischen Raumfahrthysterie - zwanzig Jahre vor Challenger! Während sie mit Bürokratenlogik und Highest-Tech die Mondlandung planen, geistert ein weiblicher Dschinn aus „1001 Nacht“ durch die NASA-Flure - eine groteske Allegorie über die unfreiwillige Wiederkehr der vom Technobewußtsein verdrängten Atavismen und eigentlich allerhand „new age„ -Einsicht für 1966. In der Tertia sah eine Mitschülerin genauso aus wie Jeannie und war damals unser aller heimlicher Schwarm. Sie hat tatsächlich später einen Piloten geheiratet, wohnt in Frankfurt und besorgt dessen Bedürfnisse heuer genauso treu wie das Filmvorbild. Aber „Emma Peel“ in „Schirm, Charme und Melone“: die frühe Feministin mit Karate und Lack-Kombi, von atemberaubender Selbständigkeit, frech und cool wie keine andere. Die Wiederholung nach zwanzig Jahren wirkt desperat: Dramaturgisch war diese Serie perfekt, hochmodern und so unerreicht englisch wie der Papst katholisch. Und die Domina meiner unheimlichsten Träume? Das Haar mit Festiger betoniert, das Gesicht zu einer gruseligen Make-up-Creation verpappt, von den Wimpern bis zur Plateausohle, selbst die Kampfgesten: alles falsch, zeitverwoben-spinnwebig. Ach, nichts ist älter als die vergangene Mode. Mein Empfinden dabei ist das von Befreiung, wie nach einer gelungenen Therapiesitzung - ein wenig Trauer dabei. Aber durchaus emanzipatorisch. Und neuerdings werde ich jeden Tag gegen vier ganz hibbelig, denn um 16.30 Uhr gibt es „Geheimauftrag für John Drake“, diesen stoischen Prä-James-Bond mit Heinz Draches Whiskey-Stimme. Mann, was haben wir den damals heimlich verehrt, von solchen legeren Anzügen, dünnen Schlipsen und offenen Sportwagen geträumt, und wie er in immer nur zwanzig Minuten die verwickelsten Fälle löste (die ich übrigens selbst heute nie so richtig verstehe. Für wen zum Beispiel arbeitet der Kerl eigentlich?). Das sind unterbewußte Männerbilder, daß ein Theweleit jubeln müßt‘, die „harten Männer“ und die „flutenden Frauen“ unserer Nach -Nazi-Phantasie.

Noch heute wundert es mich, daß wir mit diesem Dreck im Kopf, der ungefilterten Quintessenz der tumben Sechziger, der „Peter-Stuyvesant„-Jahre, wie sie wirklich waren, überhaupt jemals Rebellen werden konnten, oder wenigstens einige von uns. Es ist offenbar doch nicht das Medium, was das Bewußtsein macht?

Dr.Seltsam

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