■ Schöner leben: Schöner reuen
Ist es schon Reue, wenn man ein schlechtes Gewissen hat? Wenn man zum Beispiel der zerfledderten Milchtüte (Gelber Sack!) in den Normalrestmüll hinterhergreifen wollte und es dann doch nicht tut, weil die Tüte inzwischen im noch feuchten Kaffeesatz abgetaucht ist, den jemand dortgelassen hat, obwohl der doch eigentlich... Ab wann setzt da Reue ein und lohnt sie sich überhaupt außerhalb der Müllverordnung? „Tätige Reue verschafft Strafminderung“ oder „Wer sich freiwillig oder ernsthaft bemüht, die Vollendung der eigenen Tat zu verhindern, wird straflos“ (frei zitiert nach dem StGB, § 24).
Fragen Sie also im Zweifelsfall Ihre Rechtsanwältin – oder Ihren Seelsorger: Die katholische Theologie kennt „echte Reue“ als Akt der Buße und Voraussetzung zur Lossprechung. Reue wird hier definiert als sich gegenseitig bedingende aufrichtige Abscheu und Umkehr. Wogegen und wohin? Madonna Louise Veronica Ciccone etwa ist ja auch Katholikin. Sie befindet sich demnach mit ihrer neuen „Bedtime Sories“-CD bereits auf dem christlich richtigen Weg: Setzt sich in eine Art öffentlichen Beichtstuhl und zweifelt singend selbstreflexiv „Did I say something wrong? Did I stay too long???“ Aber: die Reue-Heroine bedauert überhaupt rein gar nichts, weder Gedanken, noch Worte, noch Werke.
Richtige Reue wirkt doch eigentlich erst, wenn sie nicht Geld bringt, sondern quält. Tagelang, wochenlang muß man vorgeworfen bekommen, daß mit o.g. Milchtüte eine aktive Entsorgungssünde begangen wurde. So lange, bis endlich wieder Milch in der Glasflasche gekauft wird. Denn ernstzunehmende Wissenschaftler haben erhoben, daß wir gar nicht mal dazu neigen, irgendwelchen (Misse-)Taten nachzureuen. Vielmehr reue uns langfristig zu 75 Prozent das, was wir nicht tun oder getan haben. Leider wird es nun aber mit der Buße endgültig schwierig. Soll man vielleicht künftig mit den Milchtüten einen Dornengang zum Glascontainer machen? Und dort reuevoll das Pfand hinterlegen, das eigentlich der Flasche gebührte? Aber wo? Silvia Plahl
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