■ Querspalte: Schöne Jelzin- Welt
Was tun, wenn Helden ihren Glanz verlieren? Zum Beispiel Boris. Nein, nicht der. Der andere. Wer erinnert sich heute noch an den Recken aus dem Ural, der in der Perestroikazeit nach Moskau kam, um den Apparatschiks das Fürchten zu lehren? Der Nomenklaturaläden und Krankenhäuser mied, sich mit Popow, Iwanow, Sidorow in die Schlange einreihte, im überbelegten Zehnbettzimmer auskurierte. Der 1991 auf einem Panzer die Massen zur Verteidigung der Demokratie aufrüttelte!
Heute vergnügt sich das Ausland mit Filmsequenzen, die Jelzin beim Busengrapschen zeigen und spekuliert, wieviel er wohl intus gehabt haben mag. Um dieses schiefe Bild wieder geradezurücken, hat sich der Pressedienst des Präsidenten angeschickt, eine Informationsschrift herauszugeben. Ein gutes Image im Ausland ist auch etwas wert. Siehe Gorbi.
Petro-News heißt das Organ. Dort liest man: „Der Präsident duldet keine Hast, keinen Lärm und am liebsten macht er alles selbst.“ Leider kann sich das Blatt, wo es um Jelzins politische Anschauung geht, nur auf Vermutungen stützen: „Wahrscheinlich ist er sehr antikommunistisch.“ Jelzin hat auch nette Kumpels. „Ritter ohne Furcht und Tadel“ nennt das Blatt die Männer um den Präsidenten. Zum Beispiel Sportfunktionär Schamil Tarpischtschew. Ihm werfen manche vor, er habe durch ein Schnapsmonopol ein Vermögen ergaunert. Petro-News stellt richtig: „Er hat eine beeindruckende Sportkarriere hinter sich.“
Bösewichter sollten sich überhaupt vorsehen. Boris Nikolajewitsch läßt nicht mit sich spaßen, Petro-News-Leser wissen das. „Der russische Präsident war von den unterschiedlichsten Menschen umgeben, viele von ihnen hielten der Macht- und Reformprobe nicht stand und gingen über Bord ...“, droht das Magazin unverhohlen. Das hat auch Expressesprecher Wjatscheslaw Kostikow erfahren müssen. Nachdem er in Ungnade gefallen war, wurde er von Jelzins Leuten während einer Bootsfahrt über Bord geworfen. Gregor Kursell
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