: Schöne Grüße aus dem Weltall
■ Ein schräger Science-Fiction-Film und weitere Bremer Produktionen auf der Berlinale: Das Institut Film/Fernsehen stellte seine jüngsten Arbeiten vor
Wenn es auf dem Europäischen Filmmarkt der Berlinale darum gehen würde, wie viele potentielle Käufer sich dort einen Film überhaupt ansehen, dann hätten die Mitarbeiter des Bremer Instituts Film/Fernsehen (BIFF) jetzt kaum Grund zum feiern. Gerade mal sieben Zuschauer kamen zu den beiden Vorstellungen von „Neues aus dem Reich der Sinne – Der unverrückbare Ort“ von Michael Heinrich, und ein knappes Dutzend setzte sich in die bequemen Sessel eines der zehn kleinen Studios, um sich dort die zweite Produktion des Instituts, „Out Of The Present“ von Andrej Ujica, anzusehen. Aber ob sich hier ein Film gut verkauft, hängt von viel komplizierteren Faktoren ab als von der Anzahl der Zuschauer bei den sogenannten „screenings“. Viel wichtiger ist, daß im Cinecenter Kontakte geknüpft und Produktionsmaterialien verteilt werden. Alleine schon, daß die Filme auf der Liste der hier angebotenen Produktionen stehen, erhöht ihren Verkaufswert. So ist die BIFF-Produzentin Elke Peters jetzt nach dem Festival auch ganz zuversichtlich, obwohl keiner ihrer Filme direkt vom Markt weg verkauft wurde.
Der Dokumentarfilm „Out of the Present“ lief auch schon mit Erfolg auf anderen Festivals, beispielsweise im letzten Sommer in Locarno. Inzwischen sind ein australischer Fernsehsender und der britische „Channel Four“ an ihm interessiert. Der russische Filmmacher Andrei Ujica erzählt hier von der langen Reise des Kosmonauten Segej Krikaljow, der über zehn Monate lang in der Raumstation „Mir“ lebte, während sich auf der Erde unter ihm die Sowjetunion auflöste. Es gibt viele schöne Bilder aus dem Weltall in diesem Film, Aufnahmen vom alltäglichen Leben der Kosmonauten in der Schwerelosigkeit; Raketenstarts, Landungen, Aufnahmen vom Putschversuch von 1991 sowie Zitate aus „2001“ und „Solaris“. Mit einer gebührend spacigen Filmmusik und einigen wunderschönen, langen Aufnahmen von der ersten 35mm Filmkamera, die je ins Weltall mitgenommen wurde, könnte dieser Film zum Geheimtip unter Liebhabern von Science-Fiction-Filmen werden. In die deutschen Kinos kommt er ab Mitte April, und zu diesem Zeitpunkt wird er auch im „Cinema“ als gebührend feierlich begangene Bremer Premiere vorgestellt.
Die zweite Produktion, „Neues aus dem Reich der Sinne“ von Michael Heinrich, ist dagegen wohl schwieriger zu verkaufen. Der 40 Minuten lange Film ist ein hochartifizieller Versuch der bildlichen Darstellung des Phänomens der Verkündigung Marias. Ohne theologisches und kunstgeschichtliches Vorwissen kann man kaum klug werden aus den den hier gezeigten „lebenden Bildern“, die einem Gemälde Filippo Lippis' aus dem Jahre 1445 nachempfunden sind. Schauspieler stellen Maria, Engel, Gelehrte und edle Herren in Gesten und Gebärden der Malerei dieser Epoche dar und philosophieren dabei über Gott und die Welt. Interesse zeigten bisher die Einkäufer vom Pariser Louvre, in dem das Original des Gemäldes hängt, und der Kulturkanal „Arte“, der vielleicht in einem seiner Themenabende den passenden Sendeplatz für dieses extrem unzugängliche Filmessay findet.
Die einzige Produktion aus Bremen, die für das normale Festivalpublikum zugänglich war, war Thomas Mitscherlichs Film „Reisen ins Leben“ (vgl. taz vom 14.2.). In der Programmschiene „Panorama: Dokumente“ lief der Film insgesammt dreimal vor viel Publikum. Die erste Vorstellung im Atelier des Zoo-Palasts war sogar ausverkauft, und das war bei Filmen in dieser Sektion alles andere als selbstverständlich. Nach langanhaltendem Applaus gab es direkt nach den Vorführungen Diskussionen im Kinosaal. Dabei merkte man einerseits, daß der Film sehr gut beim Publikum ankam, andererseits aber auch, wie schwierig es war, direkt nach dem Film über überlebenden KZ-Kindern zu reden. Mitscherlich selbst bezeichnete später dieses Ritual des Gesprächs mit dem Publikum unmittelbar nach der Vorstellung als „unsinnig“, weil jeder Zuschauer erst einmal Zeit brauche, um das Gesehene zu verarbeiten.
So aber gab es einige merkwürdige Fragen aus dem Publikum und dazu auch noch sprachliche Mißverständnisse. Zwei Zuschauer bedankten sich aber auch beim Regisseur für den Film. Auf die kritische Frage, warum er als deutscher Regisseur in seinem Film keinen in Deutschland lebenden Überlebenden des Holocaust zu Wort kommen lasse, antwortete Mitscherlich: „Ich denke, ich habe mich als Filmemacher mit diesem Land genug rumgeschlagen“.
In den Zeitungen erschienen immerhin drei Kritiken des Films, und das ist bei dem Überangebot des Festivals ein Erfolg, zumal alle Rezensionen positiv waren. Bodo Fründt lobt in der Süddeutschen den Film als „Gedächtnis des Verdrängten“, und im Tagesspiegel resümiert Frank Noack: „Die Eindringlichkeit der Erzählungen setzt sich gegen die unnötigen formalen Spielereinen durch.“ Mitscherlich kann mit diesen Reaktionen auf seinen Film zufrieden sein, aber verkauft ist er auch noch nicht. Bisher hat er keinen deutschen Verleiher, und das Fernsehen hat den Film zwar mitfinanziert, will aber nur eine gekürzte Version senden. So wird „Reisen ins Leben“ vielleicht auf dem Filmmarkt des nächsten Festivals angeboten.
Wilfried Hippen
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