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Schöne Bescherung ohne Siemens

■ Umweltverbände, Ärzte und kirchliche Gruppen rufen zum Boykott des Elektrokonzerns auf, bis der sein Atomgeschäft aufgibt / Erstes Ziel ist die milliardenschwere Medizintechnik des Konzerns

Berlin (taz) – Den Eierkocher für die Oma noch nicht erstanden und der Computer für die Tochter auch noch auf dem Wunschzettel? Dann haben Sie jetzt eine einmalige Chance, mit ihrer Konsumentensouveränität dem wichtigsten deutschen Atomkonzern die Meinung zu sagen. Rund 70 Umweltverbände, Ärzteorganisationen und Kirchenvertreter aus Deutschland und Österreich rufen seit gestern zum Boykott von Siemens auf. Bis auf weiteres sollen Kühlschränke und Waschmaschinen von Bosch-Siemens oder Neff, Computer von Siemens-Nixdorf, Telefonanlagen von Siemens und Glühbirnen der Siemens-Tochter Osram den Weg in deutsche Haushalte nicht mehr finden, fordern die Organisatoren. „Geld allein ist das zentrale Argument, mit dem die hartnäckigsten Fundamentalisten der Atomlobby überzeugt werden können“, skizzierte Organisator Andreas Lämmermann in Berlin die Strategie.

Kirchliche Gruppen wie die Evangelischen Studentengemeinden, die Katholische Junge Gemeinde und Pax Christi, Anti-Atom- Bürgerinitiativen und der Bundesverband Bündnis 90/ Die Grünen wollen in den kommenden Wochen auf vielen deutschen Einkaufsstraßen präsent sein und die KundInnen zum Boykott von Siemens-Produkten bewegen. Der Konzern sei am Bau aller deutschen Atommeiler beteiligt gewesen und halte die Schlüsselstellung in der deutschen Atomindustrie. Er müsse zum Umdenken ermutigt werden, meinen die Organisatoren.

Die Ärzteorganisation IPPNW und der Bund für Umwelt und Naturschutz unterstützen den Boykott. Gleichzeitig versuchen sie den Konzern an einer besonders empfindlichen Stelle zu treffen, der Siemens-Medizintechnik. „Dort macht der Konzern heute neun Prozent seines Umsatzes, in der Atomtechnik nur zweieinhalb Prozent“, so BUND-Geschäftsführer Onno Poppinga. Die 10.000 im IPPNW organisierten Ärzte und 5.000 BUND-Mitglieder aus medizinischen Berufen werden gezielt angeschrieben. „Wir wollen der Siemens-Geschäftsleitung dann dokumentieren, daß sie in einer Sparte mehr Geld verlieren, als sie in der gesamten Atomtechnik gewinnen kann“, hofft Poppinga.

Die Boykotteure haben sich dabei auf eine lange Auseinandersetzung eingestellt. „Wir haben Zeit, auch bis zum Jahr 2000“, droht Poppinga. Außerdem könne man den Konflikt eskalieren – durch eine gezielte Kampagne gegen die Computersparte Siemens-Nixdorf beispielsweise.

Anti-Atom-Bürgerinitiativen, kritische Aktionäre und kirchliche Gruppen wollen auch die ganz normalen Bürgerinnen und Bürger ansprechen. Allein der Umsatz von Bosch-Siemens mit Haushaltgeräten wie Kühlschränken, Herden, Staubsaugern und Geschirrspülmaschinen sei auch schon dreimal so hoch, wie der der Atomsparte. Wichtig ist den Initiatoren dabei, daß boykottwillige Kunden nach der Kaufentscheidung dem Siemens-Management mitteilen, warum man auf ihr Produkt verzichtet hat.

Siemens-Sprecher Bernd Stecher versuchte der „breitangelegten Kampagne“ gestern die Spitze zu nehmen. Man halte an der Atomtechnik zwar fest, aber „wir sind nicht die Bannerträger der Kerntechnik in diesem Lande.“ Vielmehr sei der Konzern, der zusammen mit der französischen Firma Framatome ein neues AKW bauen will, doch „auch der weltgrößte Hersteller von Solartechnik“. Und wenn die Atomkraft in Deutschland nicht konsensfähig sei, werde das auch zu Konsequenzen in seinem Unternehmen führen.

Siemens-Aufsichtsratschef Hermann Franz hatte sich in einem Gespräch mit dem BUND vor Monaten weniger konziliant gegeben. In rüdem Ton teilte er den Umweltschützern mit, daß der Konzern überhaupt nicht daran denke, seine Politik zu ändern. Hermann-Josef Tenhagen

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