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Schnurseilpoem

■ Susanne Linkes neue Choreographie „La Chute“im Schauspielhaus uraufgeführt / Kalter Glanz am Band

Es hängt eine Frau in den Seilen, und ein Tänzer vorne tanzt bäuch- und rücklings sein hochtrainiertes Anfangselend dazu. Ein Wald, kein Wald auf der Bühne im Bremer Schauspielhaus – ein Schlingwerk aus Tau, von oben schal und gelb beleuchtet: Es ist Kulisse für ein Dschungelbuch für die fortgeschrittene TheatergängerIn, denn Susanne Linke hat ihren Zauberstift genommen, um aus Tanz und dings und bums ein neues choreographisches Gedicht hineinzuschreiben – „La Chute“, was so viel heißt wie „Der Sturz“.

Am Anfang ist nur eine Idee, und diese Idee ist ein Requisit, und dieses Requisit ist das Seil. Nach „Heiße Luft“, ihrem bildschönen Ausritt zu den Gecken der Mode und den Eitelkeiten der Alltagswelt, hat Susanne Linke, die Co-Leiterin des Bremer Tanztheaters, wieder ein Textil als tote Hauptfigur unter die lebenden geworfen und wohl gesagt, nun macht mal dies und macht mal das, und wenige Einfälle wurden darob ausgelassen.

Wer noch lebt, kann in den Seilen hängen, sich selbst einen Strick drehen, fadenscheinige Gründe haben oder vielleicht auch mal ein Band der Sympathie knüpfen – bis alle Stricke reißen: Bei Susanne Linke wird das Seil zum Riemen, wird Maßband und Liane, wird zum Schmuck, wird zur Fessel, zur Peitsche oder gar zum Spaghettihaufen. Die Choreographin erhebt auf den ersten Blick das Banale zum Thema und entdeckt auf den zweiten im Thema die Welt, die faszinierend ist, aber nicht mehr bildschön, die den Anfang sucht, doch ein Ende setzt.

Wieder keine „Geschichte“, obwohl mit dem energisch-elenden Tänzer, der Frau in den Seilen und einer zweiten auf der Bühne im Anfangs-, Mittel- und Kurz-vor-Schluß-Moment etwas davon angedeutet ist. Eine Andeutung von etwas, das sich verliert und wiederfindet wie ein Faden in einem Strang, wie ein Strang in einem Seil. Obwohl mit eingestreuten Mono- und Dialogkrümeln oder einem Seitenhieb auf die TV-Quasselbuden manches bekannte Linke-Element wiederkehrt, führt die Choreographin konsequent, noch konsequenter wohl als sonst, zu Ende, was sie diesmal angefangen hat.

Im längsten und stärksten Bildeinfall verschnüren sich die zwölf so unterschiedlichen TänzerInnen des Ensembles an Bauchriemen und ziehen und zerren sich an horizontalen Flaschenzügen quer über die Bühne. Das Motiv Geschlechterkampf flammt hier auf, da das einer Romanze und dort jenes von einem Zustand jenseits davon. Suggestiv, wie Susanne Linke die Grenzen zwischen natürlichen Geräuschen und Klangcollage verwischen läßt und die Musik (von Wolfgang Bley-Borkowski, George Crumb und György Kurtág) ihrerseits wie ein Strang mit der Choreographie verwoben ist, inszeniert und weckt die Spielleiterin ein vielschichtiges Poem.

Dabei ist das Tänzerische abgesehen von einigen Eruptionen zurückgenommen zugunsten eines sich langsam verwandelnden Ton- und Bildermosaiks. Wenn das Stück in Schwung kommt, gerät es seltsam in eine Hochspannung, die es bis zum Ende der 75minütigen Choreographie nicht mehr verliert. Knisternd trägt „La Chute“einen kalten Glanz zur Schau, selten war eine Elegie so aufregend.

Christoph Köster

Weitere Aufführungen am 26. und 29. November sowie am 6. Dezember um 20 Uhr im Schauspielhaus

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