piwik no script img

■ SchnittplatzAllzeit mitfühlbereit

Der Aktualitätswahn macht auch vor dem Fernsehspiel nicht halt. Die inzwischen viermal erprobte Novität aus dem Hause WDR – sinnigerweise „Brandheiß“ genannt und auf der Schmauchspur des Reality TV – bereitet noch nicht verhallte politische Ereignisse zum Drama auf. Binnen vier Wochen wird aus dem Geschehen eine nachinszenierte Geschichte, angereichert mit dokumentarischen Ausschnitten, emotional aufgeladen mit allem Pro und Contra der zwischenzeitlich in der Öffentlichkeit gelaufenen Diskussion. Das Ereignis ist noch in „bester“ Erinnerung und die Mitfühlbereitschaft schnell aktiviert.

Die Folge „Stahlhart“ machte die Ruhrpott-Stahlkrise zum Setting für tränenreiche Konflikte einer Arbeiterfamilie, deren jüngster Sproß an einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim beteiligt ist. Das Hauptproblem des Dramoletts: die präsentierte Zwangsläufigkeit von Biographie und gesellschaftlichem Rechtsdrall. Alle sind sie da, die Voraussetzungen für das Fiasko. „Lebensrecht“, eine andere Folge, trumpfte alsdann mit einer kruden Konstruktion um das Paragraph-218-Urteil auf. Die Tochter eines CDU-Bundestagsabgeordneten will abtreiben, was dieser natürlich aus Prestigegründen verbietet. Seine Frau leidet an der Parkinsonschen Krankheit und kann nur durch Hirnzellen von Föten gerettet werden. Die moralische Zwickmühle, in der er sich befindet, kennt man aus Zivildienstprozessen und Slapstick-Nummern.

Stereotypisch wie diese kommt auch „Brandheiß“ daher. Derart ihrer Komplexität beraubt, werden die Ereignisse eigentlich mehr verdunkelt als erhellt. Weil „Brandheiß“ alles so nett erklären kann, bleibt lediglich die vierwöchige Produktionszeit zu bedauern. Wie wäre es mit einer Ausstrahlung noch vor dem Geschehen? Bereits geschehen! Die vorerst letzte Folge „Auch Engel können sterben“ gab sich prophetisch: Vor dem Hintergrund des Bundeswehreinsatzes in Somalia ließ das Doku-Drama die Befürchtungen wahr werden und den ersten Blauhelm fallen. Natürlich „mit allen Freiheiten der Fiktion“ (Produzent Wiebel).Helmut Merschmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen