: Schneller als die Realität
■ Ein Gespräch mit Jens Becker, Regisseur von »Grönland«
taz: Dein Film hat mit Macht, Karriere um jeden Preis und Intrigen zu tun. Wie bist du zu diesem Stoff gekommen?
Jens Becker: Eigentlich wollte ich einen Liebesfilm machen. Das war im letzten Sommer. Ich hatte dann aber durch die sich andeutenden Umwälzungen in der damaligen DDR gespürt, daß das zu dieser Zeit nicht ging. Es war überhaupt nicht möglich, warme oder zärtliche Gefühle zu entwickeln. Ich mußte einfach einen Film machen, der auch mit vielem abrechnet, also auch mit ganz konkreten Leuten, die ich kannte und bei denen ich festgestellt habe, daß die sich schon ganz kurz nach dem, was man als Wende bezeichnet, wieder fest etabliert hatten.
Was hat dich gereizt, jüngste Vergangenheit oder Gegenwart wie einen amerikanischen Gangsterfilm zu inszenieren?
Wir haben nach einer abstrakten Form gesucht, in der man auch ein bißchen spinnen kann, einfach weil wir nicht wußten, wie die Realität aussehen wird. Der zweite Grund war, daß ich für mich selten Wurzeln im DDR-Film gefunden habe. Ich möchte Filme machen, die man auch mit Freude sieht, wo man auch Komik erleben kann.
Ist der Film für dich eine Art Vergangenheitsbewältigung?
Für mich ist überhaupt nichts abgearbeitet. Ich schleppe eine ganz schwierige Sache mit mir rum. Mein Traumfilmprojekt ist die Geschichte meiner beiden Großväter, die zugleich ein Abriß der deutschen Geschichte von 1918 bis in die siebziger Jahre hinein ist. Zum Beispiel war einer ein konsequenter Stalinist. Er hat bei den Nazis im Gefängnis gesessen und eine ganze Menge durchgemacht. Ich habe ihn kennengelernt als einen Menschen, mit dem man nie diskutieren konnte. Das Auseinanderklaffen von Utopie und dem, was in der DDR real vor sich ging, hat er nie begriffen. Die Frage wird nur sein, jemanden zu finden, der bereit ist, für Geschichten, die in dieser Vergangenheit liegen, Geld zu geben.
Wie war die Atmosphäre während der Dreharbeiten, wenn man so nah an der Realität ist, daß man sie sogar intuitiv vorwegnimmt wie zum Beispiel die Aktenverbrennungsszenen?
Beklemmend. Als wir diese Szene gedreht haben, gab es gerade die ersten Nachrichten über verschwundene Akten, und das war ganz merkwürdig, daß wir beim Drehen immer wieder von der Realität eingeholt wurden.
Wird der Film im Deutschen Fernsehfunk ausgestrahlt werden?
Der Sender will den Film nicht haben, obwohl er ihn bezahlt hat. Im Moment sieht es jedenfalls so aus. Es ist ja nicht mehr wie früher, daß einem gesagt wurde, also so geht das nicht, diesen Film können wir nicht senden, weil es das nicht gibt in unserer Realität oder so, sondern da wird jetzt rumgeeiert: »Na ja, er ist ja auch nicht schlecht, aber im Moment können wir uns nicht vorstellen, daß dieser Film unser Sendespektrum bereichert, wir können ja später noch mal darauf zurückkommen...«
Wovon handelt dein nächster Film?
Ich werde jetzt wohl endlich die Liebesgeschichte drehen, die ich im letzten Jahr nicht machen konnte. Es wird die Geschichte zwischen einem dieser Zigarettenmädchen, die so Zigaretten auf der Straße zum Probieren anbieten, und einem Diskothekenrausschmeißer. Interview: Kerstin Süske
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