Schnelle Straßenumbenennung in Berlin: „Unser Herz brennt für Lucy“
Die Wissmannstraße wird umbenannt: Nun soll der Straßenname eine Vorkämpferin für Frauenrechte in Tansania ehren. Mit Neukölln hat sie nichts zu tun.
taz: Frau Klein, die Bezirksverordnetenversammlung Neukölln hat am Mittwochabend die Umbenennung der Wissmann Straße in Lucy-Lameck-Straße beschlossen; gestartet war dieser Prozess im Juni 2019. Wieso ging das so schnell, anders als etwa beim Afrikanischen Viertel in Wedding?
Cordula Klein: Weil wir eine gute Strategie angewandt haben. Wir haben schon im Vorfeld das Bezirksamt eingebunden, und das hat wunderbar mitgemacht. Etwa der Stadtrat für BürgerInnendienste, der angeboten hat, für die AnwohnerInnen Timeslots einzurichten, damit sie ihre Dokumente umschreiben lassen können. Übrigens wird sie das nichts kosten, hat das Bezirksamt beschlossen! Das war uns wichtig, weil wir die Akzeptanz der AnwohnerInnen für die Umbenennung wollen.
In Wedding waren viele Anwohner gegen neue Straßennamen. In Neukölln gab es das Problem nicht?
Nein. Uns war immer wichtig, alle mitzunehmen – die politisch aktiven Menschen, die sich einbringen wollten, und vor allem aber auch die AnwohnerInnen, die ja die Hauptbetroffenen sind. Wir haben uns sehr um sie bemüht, entsprechend war ihr Feedback: Viele haben gesagt, dass die Wissmannstraße umbenannt werden sollte und sie sich damit anfreunden könnten, wenn ein guter Kompromiss gefunden wird. So haben wir es dann umgesetzt: Wir haben einen Namen gefunden, der – wie wir glauben – ebenfalls mit der Kolonialgeschichte zu tun hat, und nicht irgendeinen Frauennamen genommen, der nicht in diesem Kontext steht.
Cordula Klein
51, ist Fraktionsvorsitzende der SPD in der BVV Neukölln und stellvertretende Vorsitzende des Bildungsausschusses.
Aber mit Berlin hat Lucy Lameck nichts zu tun, oder?
Nein, aber es geht uns auch darum, ein Zeichen zu setzen gegen Kolonialismus und für die Förderung von Frauen. Umso mehr hat es uns gefreut, dass ein Frauenname gefunden wurde. Das war am Anfang des Prozesses nicht klar, ob es Frauen gibt, die thematisch infrage kommen. Am Ende gab es sogar drei gute Vorschläge der Jury. Die CDU hat die Umbenennung übrigens abgelehnt mit dem Argument, dass es keinen Neuköllner Bezug gebe. Ich denke, das ist lächerlich.
Wieso?
Seit Juni 2020 wurden 400 Vorschläge eingereicht, hauptsächlich von AnwohnerInnen der Straße. Eine Jury wählte daraus drei Namen. Der Bildungsausschuss entschied sich für Lucy Lameck, die BVV segnete dies am Mittwochabend ab. Der Verein Berlin Postkolonial wies darauf hin, dass damit eine 15-jährige Kampagne von Berliner AktivistInnen aus Tansania erfolgreich zu Ende gehe. Sprecher Mnyaka Sururu Mboro: „Lucy Lameck steht für den nicht genug gewürdigten Anteil, den Tansanias Frauen am Kampf für unsere Unabhängkeit hatten.“
Lucy Lameck gilt als eine der wichtigsten afrikanischen Vorkämpferinnen für die Rechte der Frauen im 20. Jahrhundert, war zugleich eine der ersten hochrangigen tansanischen Politikerinnen und beteiligt am Kampf für die Unabhängigkeit ihres Landes. Geboren 1934 in ärmeren Verhältnissen, engagierte sie sich bereits als junge Frau politisch und konnte dank eines Stipendiums in England studieren. 1965 wurde sie ins Parlament Tansanias gewählt und blieb dort mit einer kurzen Auszeit Abgeordnete bis zu ihrem Tod 1993. Tansania wurde im Dezember 1961 unabhängig vom Vereinigten Königreich und ist seitdem Mitglied des Commonwealth of Nations. Mehrere Jahrzehnte lang war das Gebiet Teil der deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika. Hermann von Wissmann (1853–1905) war von April 1895 bis Dezember 1896 Gouverneur von Deutsch-Ostafrika. (taz)
Weil wir immer gesagt haben, dass wir mit dem neuen Namen einen Zusammenhang zum Kolonialismus herstellen möchten – den es ja bei Wissmann in negativer Hinsicht auch gibt. Deshalb haben wir uns auch dafür eingesetzt, dass der alte Name nicht gelöscht wird. Die Leute, die in der Straße spazieren gehen, sollen ja stehen bleiben und überlegen, warum die Straße umbenannt wurde.
Wie wird weiter an Wissmann erinnert werden?
Es soll eine Stele aufgestellt werden, eine Tafel, die sein Wirken in der Kolonialzeit erklärt, und warum wir uns für die Umbenennung eingesetzt haben.
Es gab einen anderen Erstvorschlag der Jury, den Namen Nduna Mkomanile. Warum hat sich der Bildungsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung nicht für ihn, sondern für Lameck entschieden?
Wir haben uns die Bewertungen der Jury angeschaut und fanden alle drei Namen super. Lameck schien uns von der SPD-Fraktion aber am besten als Vorbild zu passen. Unser Herz brennt einfach für Lucy Lameck.
Was für einen Tipp können Sie den BezirkspolitikerInnen in Mitte geben, die nun die M-Straße umbenennen wollen?
Sie müssen rechtzeitig das Bezirksamt mitnehmen, falls sie das noch nicht getan haben, auch um mögliche Formen der Beteiligung für die AnwohnerInnen zu finden. Bei uns hatte zum Beispiel auch die Volkshochschule einen großen Anteil: Sie hat Veranstaltungen angeboten, Spaziergänge, um Geschichte erlebbar zu machen und die Leute für das Thema zu begeistern und darzustellen, warum es heute manchmal geboten ist, Straßennamen zu ändern, die nicht mehr zeitgemäß sind. Ganz wichtig ist auch, bevor neue Namensvorschläge an die Öffentlichkeit kommen, geschichtlich zu überprüfen, was es zu dieser Person gibt – damit man nicht in eine Falle läuft und sich für einen Namen entscheidet, der politisch vielleicht doch nicht so geeignet ist. Ich glaube, daran krankte es ein wenig bei den Vorschlägen für die Straßen im Wedding.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“