: Schnauze halten für den Frieden
Die PDS lehnt Militäreinsätze im Kampf gegen den Terrorismus ab. Doch nun sorgt Gregor Gysi für Verwirrung: Der Berliner Spitzenkandidat kann sich begrenzte Militäraktionen vorstellen. Das Image als Antikriegspartei wäre dahin
BERLIN taz ■ Reagan, Gorbatschow und Honecker werden bei einem Autounfall schwer verletzt. Reagan verliert eine Hand, Gorbatschow einen Arm, Honecker beide Beine. „Macht nichts“, sagt Gorbatschow, „ich kenne einen See mit heiligem Wasser.“ Die drei reisen in den Kaukasus. Reagan springt ins Wasser, kommt heraus und ruft: „Yeah, eine neue Hand.“ Gorbatschow geht in den See, kehrt um und sagt: „Hurra, ein neuer Arm.“ Honecker rollt mit seinem Rollstuhl in den See, versinkt im Wasser und kommt nach zwei Minuten luftschnappend heraus. „Seht mal“, ruft er, „ich habe neue Reifen.“
Ja, ja, so waren sie, die Witze in der DDR. Vielleicht nicht immer rasend komisch, aber es kam nicht selten vor, dass der personifizierte Klassenfeind aus Amerika besser wegkam als der eigene Staats- und Parteichef. Aber das war Spaß. Im Ernst wurde an der großen Linie nie auch nur der kleinste Zweifel gelassen: USA gleich Imperialismus gleich böse. Vielleicht sollte man in diesen Tagen noch einmal daran erinnern – wo es doch jetzt immer heißt, dass wir Deutschen den Amerikanern so viel zu verdanken haben. Die meisten Ostdeutschen fühlten sich den Amerikanern bis 1989 nicht zu Dank verpflichtet, viele bis heute nicht.
Das sollte man sich in Erinnerung rufen, um zu verstehen, was es für eine Partei wie die PDS bedeutet, wenn nach den Terrorangriffen plötzlich 43 Prozent ihrer Anhänger Vergeltungsschläge der USA befürworten. Bei den Grünen sind es nur 31 Prozent. Die PDS, geprägt von einem tief verwurzelten Antiamerikanismus, plötzlich an der Seite der USA? Das käme im Osten einer Kulturrevolution gleich.
Nun wird diese auf kurze Sicht ausbleiben. Die PDS steht nicht fest an der Seite der amerikanischen Regierung oder der Nato, und in der Partei macht sich vereinzelt schon wieder der alte linke Antiamerikanismus breit. Aber verstört, verwirrt und ratlos gemacht hat der brutale Terroranschlag viele Mitglieder.
Diese Unsicherheit versucht die PDS-Spitze geschickt zu kaschieren: Sie zeigt sich solidarisch mit den USA, kritisiert gleichwohl die Kriegsvorbereitungen der Amerikaner und erklärt ausdrücklich, dass sie diese Kritik nicht als Antiamerikanismus verstehen will. Die PDS ist die einzige Partei, die die Zustimmung der rot-grünen Regierung zum Nato-Bündnisfall für einen Fehler hält. Trotzdem räumt Fraktionschef Roland Claus ein: „Wir müssen unser Entsetzen erst noch verarbeiten.“
Wieder einmal schneller als alle anderen Genossen hat Gregor Gysi sein Entsetzen verarbeitet, und das ist groß. „Ich bin nicht in der Lage, meine Empfindungen in ausreichende Worte zu fassen“, sagt Gysi. „Diese reaktionäre Verachtung menschlichen Lebens macht mich nahezu hilflos.“ Für Gysi ist klar, dass der Kampf gegen den Terror zu führen ist – zuallererst mit politischen Mitteln, aber auch mit repressiven Maßnahmen. Der Berliner PDS-Spitzenkandidat plädiert für begrenzte militärische Aktionen, falls die Länder, die den Terroristen Unterschlupf bieten, sich einer Auslieferung verweigern. Gysis Einschränkung: Die militärischen Aktionen dürften nur auf die Ergreifung der Täter zielen und unschuldige Menschen nicht verletzen. Seine Äußerungen haben die PDS in helle Aufregung versetzt. Dabei scheint noch das geringste Problem, dass einige in der Partei Gysis Forderung für allzu träumerisch halten. „Wie, bitte schön, soll das praktisch gehen?“, fragt Fraktionsvize Wolfgang Gehrcke. „Bush spricht doch jetzt bereits von einem Krieg.“
Andere in der Partei teilen Gysis Position in der Sache, darunter einflussreiche Politiker wie Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch und die Berliner Landesvorsitzende Petra Pau. „Die Festnahme der Terroristen kann nicht durch die Verkehrspolizei erfolgen“, sagt Pau. Selbst Fraktionschef Claus räumt intern ein, dass solche Militäraktionen in seine Vorstellungswelt passen. Aber Claus und Parteichefin Gabi Zimmer sind sauer, weil Gysi seine Vorschläge öffentlich gemacht hat. Jetzt sieht es so aus, als stehe der PDS-Star wieder einmal gegen seine Partei. Als Gysi seine Position am Freitag in der Bundestagsfraktion zum ersten Mal vorgetragen hat, gab es keinen Protest. Alle hielten die Haltung vereinbar mit der offiziellen Linie der Parteiführung. Das sieht plötzlich anders aus.
Die größte Sprengkraft liegt jedoch in der unausgesprochenen Provokation, die Gysis mit seinem Vorschlag verbindet: Die Friedenspartei PDS muss sich bewegen. Sie darf Militäreinsätze nicht generell ablehnen. 1999 hat Gysi in dieser Frage die Partei schon einmal bewusst gegen sich aufgebracht. Auf dem Parteitag in Münster wollte er durchsetzen, dass die PDS Militäreinsätze, die im Einklang mit der UN-Charta durchgeführt werden, im Einzelfall zumindest prüft. Gysi scheiterte damals kläglich und zog sich daraufhin vom Amt des Fraktionsvorsitzenden zurück. Unter den Realpolitikern gilt Münster als das größte Trauma der Partei.
Nicht wenige befürchten jetzt eine Neuauflage dieses Streits. Die Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann, damals die Wortführerin der Gysi-Gegner, hat mit einem tränenreichen Auftritt in der Bundestagsfraktion bereits vor einem zweiten Münster gewarnt. Die PDS-Führung will diese Debatte unter allen Umständen vermeiden. Sie befürchtet, ihr Image als konsequente Friedenspartei zu verlieren. Also lautet ihre Vorgabe: Der Kampf gegen den Terror hat mit der Debatte über friedenserzwingende UN-Einsätze nichts zu tun. Die Ansage des Fraktionschefs an seine Abgeordneten ist da deutlicher. Sie lautet: „Schnauze halten!“ JENS KÖNIG
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