: Schmutz aus der Provinz
SAMMLERWUT Die Weserburg verliert eine exquisite kleine Sammlung an ein Museum aus Münster. Manche in der Stadt vermuten dahinter einen Skandal – zu unrecht
VON BENNO SCHIRRMEISTER
Möglicherweise wird Madame sich noch wundern. Denn in Münster, wo die Bremer Geschäftsfrau mit asiatischen Wurzeln ihre Sammlung hin expediert hat, sind sie sich auch „noch nicht klar darüber, welche musealen Perspektiven sich da ergeben sollen“, so eine Sprecherin des Picasso-Museums. Verständlich: Schließlich sammelt Madame neben Fotos von Helmut Newton in erster Linie Malerei und Plastik der Gegenwart. Und das Münsteraner Haus ist spezialisiert auf Grafik der klassischen Moderne. Anders, als das Neue Museum Weserburg, wo ihre mit 250 Einträgen kleine, aber exquisite Sammlung bislang betreut wurde.
Deren Abzug ist ein Verlust. Ein Skandal sogar? Manche haben das geargwöhnt. Da mochte Direktor Carsten Ahrens noch so sehr beteuern, dass es sich „um einen ganz normalen Vorgang“ handelt. Die Gegenseite aber existiert nur via Gerücht – und Gerüchte sind eben hartnäckig.
Madame nämlich legt Wert auf Anonymität. Letztmals fiel der Name, als der damalige Weserburg-Direktor Thomas Deecke ihre Kunstschätze unter die Fittiche nahm. Für wie lange das Haus sich um Madames Preziosen kümmern würde, hatten beide Seiten seinerzeit offen gelassen. „Es war aber klar, dass es eine Beziehung auf Zeit ist“, so Deecke. Denn das Konzept des Sammlermuseums sieht Fluktuation der Werke und der PartnerInnen ausdrücklich vor: Was auch das Beispiel Reinhard Onnasch belegt.
Der Berliner Immobilien-Unternehmer war mit Kunstprofessor Jürgen Waller Initiator des Museums. Seine über Jahrzehnte gewachsene Sammlung war lange Zeit dessen Herzstück. Mit Grund: Sie ist international bedeutend und gut zehnmal so groß wie die von Madame. Dass sie vor vier Jahren das Museum im Fluss verließ – hat in Bremen kaum jemanden interessiert. Die Besucherzahlen sind deswegen auch nicht eingebrochen. Und die Jahresausstellungen fanden statt. Die diesjährige beginnt am 1. August und zeigt, passend zu dessen 70. Geburtstag und zum Mauerfall, AR Penck aus der – auch deutlich über 1.000 Positionen zählenden – Sammlung Boeckmann.
Manche kommen, manche gehen – „das Haus“, befindet Deecke sogar „muss so beweglich bleiben“. Nur „auf diese Weise bleibt es lebendig“. Deecke ist in dieser Frage eine vergleichsweise objektive Instanz. Zur Erinnerung: Von der Art und den künstlerischen Vorlieben her muss der Gründungsdirektor als Antipode seines Nachfolgers Ahrens gelten. Dass der senatorable Professor aus Lübeck in seinem Museum jemals eine Newton-Ausstellung gezeigt hätte – unvorstellbar. „Ich hasse dieses Five-Letter-Wort ‚Event‘“, hatte er, kurz vor seinem Abschied in den Ruhestand, der taz anvertraut. Ahrens geht es hingegen durchaus flott von den Lippen. Er ist ein eher burschikoser Typ, mitunter sehr sporadisch gekämmt und „dass manchen in Bremen meine Frisur missfällt, weiß ich selbst“, sagt er. Madame, die aus einem Land ähnlich stark ritualisierter Umgangsformen wie Japan stammt, könnte dazu zählen.
Die Aufregung um den Abgang der Sammlung hatte sich exklusiv aus Äußerungen des Münsteraner Museumsdirektors Markus Müller gespeist. Der wollte seinen Neuzugang loben. Die Tatsache, dass Madame gut beraten durchgesetzte Positionen erwirbt, ließ ihn dabei die beliebte Metapher „Champions League“ wählen. Als bemerkenswert empfand er zudem noch, dass die Kollektion wächst – wie jede Kunstsammlung bis zum Tod oder Ruin ihres Eigners.
Eine dürftige Aussage also, die Müller noch würzen musste: Ausführlich kolportierte er daher, offenkundig ohne direkten Kontakt zu Madame, deren „massive Unzufriedenheit mit den Bremer Verhältnissen“. Das könne er aber, so ließ er Radio Bremen wissen, „nicht kommentieren“, weil er sie auch nur zugetragen bekommen habe. Mit ähnlicher Provinz-Infamie ließ er sich vom Weser Report zitieren: „Ich will ja“, so Müller „keine Kollegenschelte betreiben, aber…“ der Rest der Äußerung lässt sich mit zwei Worten zusammen fassen: eigentlich doch.
„Es ist schwierig, auf Vorwürfe aus dritter Hand zu reagieren“, sagt Ahrens. Unzufriedenheit artikuliert hatte die Sammlung selbst nur einmal: Sie fand die Marketingbemühungen nicht ausreichend – ausgerechnet bei der Newton-Schau, für die das Haus die größte Werbekampagne seiner Geschichte betrieben hatte. Und einen Kredit aufgenommen – bei der ein Gerhard Richter aus den eigenen Beständen als Sicherheit angegeben wurde. Andere hoffen in solchen Fällen auf die Freigiebigkeit der Kulturverwaltung.
In Münster zog die Newton-Ausstellung aus Madames Beständen in sieben Wochen fast halb so viele BesucherInnen wie in Bremen an. Ein schöner Erfolg. Ob Madame allerdings erfreut ist über Müllers neue offensive Art der Öffentlichkeitsarbeit, lässt sich indes nicht mit Sicherheit sagen.