: Schluss mit Platt an der Uni?
■ Kein Geld für Plattdeutschunterricht mehr / Institut für Niederdeutsch sieht Verstoß gegen Bremens Verpflichtung in EU-Charta / Studis „obsternaatsch“
„Obsternaatsch heißt aufsässig“, erklärt Bernhard de Reese den etwa 15 Studierenden. Der Gymnasiallehrer aus Bremen-Nord arbeitet zugleich als Lehrbeauftragter an der Universität Bremen und unterrichtet niederdeutsche Sprache und Literatur. Soeben hat de Reese einen Text des modernen plattdeutschen Literaten Wolfgang Sieg lesen lassen. Jetzt fragt er nach unbekannten Wörtern.
Eine von de Reeses Studierenden ist Rieke Bitter. Die 25-Jährige studiert Deutsch im fünften Semester und will Lehrerin werden. „Ich hatte selbst Plattdeutsch in der Grundschule und möchte es gerne später an meine Schüler weitervermitteln“, sagt sie. „Dazu muss ich etwas über die Geschichte dieser Sprache, ihre Grammatik und vor allem ihre Literatur wissen.“ Im Rahmen des normalen Deutsch-Studiums lernt sie nun Plattdeutsch bei de Reese. Plattdeutsch zu studieren ist in Bremen erst seit etwa sechs Jahren möglich. Vorher gab es lediglich ein einziges Niederdeutsch-Seminar an einem anderen Fachbereich für Senioren.
Doch schon bald könnten die jungen Plattdeutsch-Studierenden selbst „obsternaatsch“ werden. Denn im Moment stehen für Plattdeutsch im Sommersemester keine Gelder mehr zur Verfügung. Bisher wurde de Reese aus Altmitteln finanziert, die zu einem einmaligen Modellprojekt gehörten – der so genannten Zusatzqualifikation „Niederdeutsch – Regionalsprache und -kultur in der Lehrerausbildung“, kurz NIREL. Plattdeutsch ist also kein Magisterfach. Die Studis lernen Platt im Rahmen der Lehramtsausbildung. Die Idee: Künftige LehrerInnen wie Rieke Bitter sollten Platt später an die Schüler weitergeben. Kürzlich erklärte die Universität den Modellversuch für beendet. Offiziell hieß es: Es stehen keine Lehrkräfte mehr zur Verfügung. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, meint der Sprachforscher Prof. Wolfgang Wildgen: „NIREL beruhte auf Abordnungen zweier Lehrer im Umfang von 16 Wochenstunden. Mit dem Ende der Abordnungen ist nun die Substanz des Studienganges weg.“ Tatsächlich hatte die damalige Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs NIREL mit der Auflage genehmigt, die Universität müsse das Plattdeutsch-Angebot langfristig selbst übernehmen. Jetzt sind Fachbereich und Rektor gefragt. Doch der universitäre Niedergang des Niederdeutschen nach kurzer Blüte wäre nicht nur ein wissenschaftlicher Verlust. Das Land Bremen würde auch einer international eingegangenen Verpflichtung nicht nachkommen, meinen die Freunde des Plattdeutschen. Denn während der Modellversuch schon lief, unterzeichnete die Bremer Bürgerschaft 1999 einstimmig bei wenigen Enthaltungen vor allem der Grünen die Europäische Charta für Regional- und Minderheitensprachen. Sie schützt vom Aussterben bedrohte Kleinsprachen, im Bremer Fall das Plattdeutsche. „Das endgültige Aus für Niederdeutsch an der Uni wäre ein Verstoß gegen den Geist der Charta“, meint denn auch Ulf Thomas-Lesle, Geschäftsführer des Instituts für Niederdeutsche Sprache im Bremer Schnoor. Einmal im Jahr müssen die Unterzeichner-Staaten Brüssel gegenüber Rechenschaft ablegen. „Im letzten Staatenbericht hat Bremen sich noch mit dem Modellversuch gerühmt und Planungen für eine Ausweitung des Angebotes angekündigt“, sagt Lesle. Ein Behördenvertreter schätzt denn auch: „Würde Bremen das Lehrangebot für Plattdeutsch auf Null herunterfahren, gäbe es nach dem neuen Staatenbericht zur Charta eine Rüge. Das schadet, wenn der Senat das nächste Mal selbst Geld aus Brüssel haben will.“ Geht es um seine kleinen Sprachen, könnte also auch die EU eines sein: obsternaatsch. Thomas Gebel
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