: Schlimm für Berlin
Ex-Kultursenator Hassemer zu Karajans Kündigung ■ G A S T K O M M E N T A R
Es ist sehr schlimm für Berlin, wenn Herbert von Karajan hier nicht mehr dirigiert - einfach, weil er ein ungewöhnlich großer Mann ist. Kleines und noch nicht Großes, Vielfältiges und Eigenartiges, Neues und Dezentrales - alles das ist wichtig in der Kunst. Mindestens so wichtig ist aber auch das Besondere, das sehr Große und Einzigartige.
Einer wie Karajan ermöglicht musikalische Erfahrungen und Erlebnisse wie sonst keiner. Einer wie er schiebt die Grenzen künstlerischer Arbeit mehr als andere ein Stück voraus. Die Spielräume werden größer, für Künstler wie für Zuhörer. Seine Leistung ist nicht nur das große Konzert - er verändert mehr als andere die Grenzen und Inhalte der Musik.
Er überschreitet allerdings auch anderswo Grenzen. So viel Selbstbewußtsein, so viel Herrisches, so viel Verachtung gegenüber - vermeintlich? - Schlechtem gibt es ebenfalls sonst kaum; so viel Anlaß auch für Neid wegen der Macht, wegen des Geldes, wegen des Einflusses...
Jemand wie Herbert von Karajan regt nicht nur an, er regt auch auf. Er geht nicht nur an die musikalischen Belastungsgrenzen seiner Musiker, er ist auch für andere ein harter Brocken. Man sollte es ihm zwar nicht leichtmachen. Schlimmer aber ist, mit diesen außergewöhnlichen Pflanzen nicht sorgfältig genug umzugehen. Es gibt nicht viele davon. Man wird Herbert von Karajan nicht gerecht, wenn man sich genauso gebärdet wie er. Dazu kann man eben nicht gut genug dirigieren. Man wird ihm gerecht, wenn man die Größe hat, seine Belastungsproben durchzustehen, und dann beginnt er vielleicht wieder mit Orchesterproben.
Dr.Volker Hassemer Hassemer, CDU, von 1983 bis
zum Regierungswechsel Kultursenator
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen