Schlechte Arbeitsbedingungen an der Hochschule: Tagelöhner der Wissenschaft
Ein wachsender Teil der Lehre wird von schlecht bezahlten akademischen Freiberuflern abgedeckt. Ohne die Lehrbeauftragten geht an den Unis nichts mehr.
Robert Dennhardt ist 37 Jahre alt, Doktor der Kulturwissenschaften mit Lehrauftrag an der Universität der Künste (UdK) - und gibt Schülern Mathe-Nachhilfe. Den Zweitjob braucht er, damit es zum Leben reicht. Denn seine eigentliche Arbeit, das Lehren von Wissenschaftsgeschichte, bringt ihm weniger als 5 Euro pro Stunde ein.
Seit anderthalb Jahren hangelt sich Dennhardt, der seine Promotion 2008 magna cum laude abschloss, von Lehrauftrag zu Lehrauftrag. Von einem freiberuflichen, auf die Dauer eines Semester beschränkten Arbeitsverhältnis zum nächsten. Anspruch auf Krankengeld oder Urlaub hat er nicht; wäre er eine Frau, bekäme er noch nicht einmal Mutterschutz. "Ich bin so eine Art Tagelöhner des Wissenschaftsbetriebs", sagt er bitter.
Dennhardt gehört zu der stetig wachsenden Zahl von prekär beschäftigten Hochschulmitarbeitern. Diese Gruppe übernimmt immer mehr Lehraufträge, die bislang von Dozenten oder wissenschaftlichen Mitarbeitern durchgeführt wurden. Aus einer Kleinen Anfrage des SPD-Abgeordneten Lars Oberg an den Senat geht hervor, dass die rund 5.000 Lehrbeauftragten an den Fachhochschulen bis zu 48 Prozent der Regellehre leisten. An den künstlerischen Hochschulen sind es im Schnitt 25 Prozent und an den Universitäten 15 Prozent.
Weil der sogenannte akademische Mittelbau seit rund 15 Jahren massiv ausgedünnt wird, greifen die Hochschulen auf Niedriglohnkräfte zurück. Es sind Nachwuchswissenschaftler wie Dennhardt, die gerade mit höchsten Weihen aus der akademischen Ausbildung entlassen werden - nur um festzustellen, dass es für sie keine Postdoktoranden- oder Dozentenstellen gibt. Dafür aber reichlich akademische Minijobs, die eigentlich als Nebentätigkeit für Leute aus der Praxis geschaffen wurden.
Die Realität sieht anders aus, wie die Antwort des Senats auf Obergs Anfrage zeigt. Für mehr als die Hälfte aller Lehrbeauftragten ist die Lehrtätigkeit ihr Hauptberuf. Ein hart verdientes Brot, denn im geltenden Mindeststundensatz von 21,40 Euro sind Vor-und Nachbereitung und Korrekturzeiten nicht enthalten. Was in den Sprachzentren schon längst Usus ist, hat jetzt auf den gesamten geisteswissenschaftlichen Bereich und die Naturwissenschaften übergegriffen. Nicht nur Französisch, auch die Grundlagen der Mathematik oder die Einführung in die Kulturwissenschaft werden mittlerweile von Freiberuflern unterrichtet, wie aus den Senatszahlen hervorgeht.
"Ohne Lehrbeauftragte würde der Lehrbetrieb an vielen Hochschulen zusammenbrechen", sagt Rose-Marie Seggelke, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die GEW fordert von der rot-roten Koalition eine Änderung des Berliner Hochschulgesetzes, die den Beschäftigten reguläre Arbeitsverhältnisse und Integration in den Hochschulbetrieb ermöglicht.
Bislang stehen Lehrbeauftragte wie Dennhardt völlig außerhalb der Hochschulhierarchie: Sie werden nicht zu Institutssitzungen oder Planungsrunden eingeladen, haben keinen Zutritt zu Gremien oder internen Fortbildungsangeboten. Und sie werden erst zum Semesterende bezahlt. Viele müssen daher zur Überbrückung Hartz IV beantragen. Oder bei der Institutsleitung um einen Vorschuss bitten. "Eine weitere in einer Kette von Demütigungen", so formuliert es Nachwuchswissenschaftler Dennhardt. Nach anderthalb Jahren in der akademischen Warteschleife wechselt er als Lehrer an eine Privatschule. Dort wird wenigstens nicht an der Lehre gespart.
Rose-Marie Seggelke, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
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