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■ Nach dem jüngsten Bombenanschlag beschuldigt Sinn-Féin-Chef Gerry Adams die britische RegierungSchlechte Absichten und Unehrlichkeit

„Wenn die Vergangenheit im Brennpunkt bleibt, wird sie zur Zukunft, und das ist etwas, was niemand wünschen kann.“ In diesem kleinen Satz fingen Senator George Mitchell und seine Kollegen in ihrem Bericht im letzten Monat den tiefempfundenen Wunsch des Volkes Irlands nach einem dauerhaften Frieden ein.

(...) Für fast eineinhalb Jahre schwiegen in Irland die Waffen des Krieges. Einige Jahre lang davor schnürten ich selbst, der SDLP- Chef John Hume, der frühere irische Premierminister Albert Reynolds und das irische Amerika sorgfältig ein Paket, mit dem die IRA überredet wurde, eine vollständige Einstellung der militärischen Operationen auf der Basis auszurufen, daß das zu einem umfassenden Verhandlungsprozeß führe. Bedauerlicherweise verhinderten sowohl die Unversöhnlichkeit der britischen Regierung und der Unionisten sowie ihre Ablehnung, sich phantasievoll und flexibel im Friedensprozeß zu engagieren, die dringend notwendige Konsolidierung dieses Prozesses.

Am letzten Freitag abend beendete die IRA ihre 18monatige Feuereinstellung. Diese Ankündigung wurde allgemein mit Enttäuschung und Bedauern aufgenommen. Zur jetzigen Zeit sind meine Gedanken bei den Familien der durch die Londoner Explosion Getöteten und Verletzten. (...) Doch es ist die Realität, daß die IRA ungeschlagen war, als sie vor 18 Monaten ihren sehr mutigen Entschluß faßte und – wie allgemein anerkannt wird – die größte Möglichkeit seit der Teilung Irlands für eine dauerhafte Friedenslösung schuf. Aber die britische Regierung und die Unionisten errichten ein Hindernis nach dem anderen und machten jeden Versuch zunichte, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.

Verhandlungen unter Einschluß aller, ohne Vorbedingungen oder Vetos, sind der Schlüssel dafür, den Friedensprozeß zu einer Friedenslösung voranzubringen. Das aber war die Verpflichtung, die beide Regierungen im Vorfeld der IRA-Feuereinstellung offen und wiederholt abgaben. Das war der Kontext, in dem die IRA im August 1994 ihre historische Erklärung abgab. (...)

18 Monate lang haben Sinn Féin und andere am Verhandlungstisch gestanden und darauf gewartet, daß sich die britische Regierung und die Unionisten mit uns zusammensetzen, damit wir uns über eine neue und friedliche Zukunft verständigen. Das angehäufte Beweismaterial deutet verurteilend auf die britische Regierung, die in einer Psychologie des Krieges und in einer Geistesverfassung gefangen ist, die einen Sieg über die Republikaner anstatt Übereinkunft und Kompromiß verlangt. Wir waren Zeuge schlechter Absichten und von Unehrlichkeit, neuen Vorbedingungen und Versuchen, Zeit zu gewinnen, von negativer Einstellung und Provokation. Das verblüffte jene, die glaubten, daß die Briten positiv an den Friedensprozeß gehen würden, und das war so offensichtlich, daß es selbst jene von uns überraschte, die eine gesunden Zynismus den britischen Absichten gegenüber besaßen. (...) Wir verwiesen mit wachsender Verzweiflung darauf, daß es keinen Frieden ohne Friedensverhandlungen geben kann. Daß es ohne Friedensgespräche keinen Friedensprozeß gibt.

Trotzdem ging Sinn Féin weiter positiv an den Friedensprozeß heran. Im vergangenen November führten die beiden Regierungen das „zweigleisige“ Herangehen ein. Der irische Premier John Bruton beschrieb es als Mittel dazu, Vorbedingungen für Allparteiengespräche aus dem Weg zu räumen. Aber als Senator George Mitchells internationale Kommission ihren Bericht herausgab, verwarf die britische Regierung ihn und brach erneut ihre Zusicherung, Allparteiengespräche zu beginnen.

Als die IRA die vollständige Einstellung ihrer Militäroperationen verkündete, präsentierte sie allen, besonders den zwei Regierungen, eine einmalige, nie dagewesene Möglichkeit. Die Erwartungen faßte am besten Seamus Heaney zusammen, als er die neue Situation als „Raum, in dem Hoffnung wachsen kann“, beschrieb.

Unser Ziel war es, diese Hoffnung zu vertiefen, sie zu nähren und einen neuen Anfang für das ganze irische Volk zu bauen – und ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen dem irischen und dem britischen Volk aufzuschlagen. Bedauerlicherweise zerschellte die Hoffnung an John Majors Eigeninteressen und den in Westminster benötigten unionistischen Stimmen. Während die IRA die Verantwortung für ihre Handlungen in London tragen muß, muß die britische Regierung ihre vollständige Verantwortung für den Kollaps des Friedensprozesses übernehmen. Sie ist der groben Fahrlässigkeit schuldig. Eines ist klar: Es ist unmöglich, in Irland Frieden zu haben, solange die britische Regierung nicht diesem Ziel verpflichtet ist.

Was muß jetzt als nächstes geschehen? In jedem Konflikt gibt es zwei Wege, auf dem er beendet werden kann. Entweder besiegt die eine Seite die andere, oder wir finden irgendwie einen Weg, den Friedensprozeß wiederherzustellen, und arbeiten für eine friedliche Verhandlungslösung.

Sinn Féin hat wiederholt darauf verwiesen, gemeinsam mit anderen, daß der Friedensprozeß nicht stillstehen darf. Wenn er sich nicht voranbewegte, befand er sich immer in der großen Gefahr, sich rückwärts zu bewegen. Das ist nun geschehen. Aber trotz des tragischen Zusammenbruchs der IRA- Feuereinstellung bleibt Sinn Féin bei ihrer Friedensstrategie. Unsere Anstrengungen, einen effektiven Friedensprozeß zu schaffen, müssen verdoppelt werden.

Was eindeutig gebraucht wird, ist eine friedliche Lösung durch Verhandlungen. Wir brauchten das vor den Ereignissen von Freitag abend, wir brauchen das jetzt mehr denn je. (...) Frieden in Irland kann nur durch ehrlichen Dialog und demokratische Verhandlungen erreicht werden, die auf Gleichheit beruhen. Das ist kein militärisches, sondern ein politisches Problem, das von den Briten militarisiert worden ist. (...) Jetzt ist nicht der Moment für Reflexe oder dafür, die Tür zum Dialog zuzuschlagen. Das würde die Situation nur verschlimmern.

(...) Sinn Féin will auch weiterhin die vollständige Entwaffnung aller bewaffneten Gruppen und den Abzug – für immer – aller Waffen, ob republikanisch, loyalistisch oder britisch, aus der politischen Gleichung Irlands. Sinn Féins Verpflichtung unserer Friedensstrategie und einem dauerhaften Frieden gegenüber, der auf politischen Gesprächen basiert, bleibt vollständig bestehen. Gerry Adams

Q The Guardian

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