■ Schlagloch: Nichts haben, aber abgeben Von Nadja Klinger
„Der dänischen Neurologin Beate Pakkeberg, Leiterin eines entsprechenden Forschungsprojekts in Kopenhagen, zufolge haben Männer im Schnitt 23 Milliarden Hirnzellen, Frauen dagegen lediglich 19 Milliarden.“
Aus einer Internet-Seite der
„Radikalen Väter“ zum
Kindschaftsrecht
Ich will keine Zustimmung, indem ich sage: Niemand kann dagegen sein, daß Männer, die ein Kind zeugen, in jedem Fall für dieses Kind sorgen dürfen. Oder: Niemand kann dagegen sein, daß das Kind nach der Trennung der Eltern gegebenenfalls beim Vater bleiben kann. Weil das so einleuchtend ist, erkläre ich lieber: Um so schwerer fällt es mir, dafür zu sein.
Auf Anhieb entsinne ich mich an mehrere Menschen, die mir da beipflichten müßten. Die Mitarbeiterin vom Jugendamt im Berliner Prenzlauer Berg zum Beispiel, die Tag für Tag Vaterschaftsanerkennungen ausstellt. Über 40 Prozent der Kinder im Osten Deutschlands sind nichtehelich, und die Frau gibt, während sie sich routiniert durch die Formulare arbeitet, deren Eltern einen Überblick über die Situation: Die Mutter darf bestimmen, der Vater darf an das Kind zahlen und vererben. Das ist zwar ungerecht, scheint der Frau vom Amt aber angemessen zu sein. Nachdem sie auf eine fast feierliche Art die Vaterschaft meines Lebensgefährten beglaubigt hatte, wandte sie sich demonstrativ von ihm ab und mir zu. „Wir wollen nun die Höhe des Unterhalts schriftlich festlegen.“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Nicht nötig, wir leben zusammen.“ – „Machen Sie nicht den Fehler, den Tausende andere vor Ihnen schon gemacht haben“, antwortete die Frau: „Eines Tages ist er weg, und Sie sehen keine müde Mark.“ Ich hörte, wie der Mann neben mir schluckte. Er nahm seine Vaterschaftsanerkennung, faltete sie auf Hosentaschenformat und verließ das Zimmer. „Das ist nicht leicht für ihn“, sagte sie, „aber wer, außer uns hier, denkt an das Kind?“
Auch der Kollege vom Vormundschaftsamt dürfte auf meiner Seite sein: Ich setzte zu umständlichen Erklärungen an und bat ihn schließlich darum, die falschen Angaben, die ich einst zur Abstammung meiner anderen Tochter gemacht hatte, zugunsten der Wahrheit zu ändern. Ich rechnete damit, Ärger zu bekommen. Er aber drückte mich wie eine Hilfsbedürftige auf einen Stuhl. „Die Mütter in ihrer Verzweiflung“, sagte er, „machen nach einem Fehler gleich noch den nächsten.“ Er tätschelte mich vom Schreibtisch aus mit Blicken und erklärte mir schließlich die rauhe Wirklichkeit: „Der eine Mann wartet nur darauf, daß ich seinen Namen aus der Vaterschaftsurkunde streiche. Und in der Sekunde, die ich brauche, um den anderen Namen einzusetzen, erklärt dann der andere, er sei es nicht gewesen.“ – „Wir sind befreundet“, antwortete ich. „In dieser Angelegenheit können Sie Ihre Freundschaft vergessen“, sagte er. – „Warum?“ – „Sehen Sie, es ist meine Aufgabe, Mütter und Kinder vor Vätern zu schützen.“
Das Bild, das die Wirklichkeit von Vätern malt, ist nur schwer mit der Reformierung des Kindschaftsrechts zusammenzubringen: 75 Prozent der nichtverheirateten Väter in der Bundesrepublik haben nie mit ihren Kindern zusammengelebt. Die Hälfte der geschiedenen Männer haben ein Jahr nach der Trennung keinen Kontakt mehr zu ihren Kinder. Rund 850.000 Männer (ein Drittel der Unterhaltspflichtigen) zahlen nicht: Jährlich schießen die Jugendämter Millionen von Mark vor. Selbst an den Orten, wo Frauen abtreiben, sind sie „allein“. Sie werden von Freundinnen in die Krankenhäuser und Ambulanzen begleitet, von ihren Müttern abgeholt. Nach der Zeugung setzt bei Männern nicht automatisch die Sorge ein. Nicht einmal der Überschuß an Hirnzellen hat sie in der Mehrheit dazu gebracht, die Vaterschaft freiwillig zu erwerben. Dennoch ist es gerecht, sie ihnen nun zu schenken. Und das ist ungerecht.
„Ihr Frauen müßt lernen, von den Rechten, die ihr habt, auch abzugeben“, fordert mein Freund, der seinem unehelichen Sohn ein guter Vater, bis jetzt jedoch rechtlos ist. Erhält er zukünftig ein halbes Sorgerecht, macht er den verdienten Schritt nach vorn. Seine Lebensgefährtin aber wirft es, unverdienterweise, einen Schritt zurück. Denn Mütter, die das Sorgerecht für ihre Kinder mit den Vätern teilen, geben Macht ab: Nicht die Macht über die Kinder, sondern die über sich selbst.
Mütter sind aus der Gesellschaft ausgestiegen: Mindestens für die Zeit der letzten Schwangerschaftsmonate, die Stillzeit, meistens für die Erziehungsjahre, genaugenommen, bis ihr Kind aus dem Haus ist. In ihrer Welt sind sie, die für sich und ihr Kind nicht selbst sorgen können, auf ständige Hilfe angewiesen. Erziehungs- und Sozialgelder treten an die Stelle von erarbeitetem Lohn, die Sachbearbeiter auf den Ämtern an die Stelle der beruflichen Kontakte. Selbst wenn sie ausreichend Kraft haben, könnten sich die Mütter im Alltag nicht allein durchsetzen – und sollen es auch nicht: Der sogenannte Mutterschutz fängt die durch die Kinder „geschwächten“ Frauen auf, indem er sie gleichzeitig vom gesellschaftlichen Leben fernhält. Der „Karriereknick“, das Unterbrechen der beruflichen Laufbahn, reißt sie schließlich gar aus ihren Altersgruppen heraus. Mütter sind zeit- und ziellos, anstelle einer sicheren Perspektive haben sie ein Schicksal. Es hängt an den Kindern, letztlich nicht nur materiell, sondern körperlich und emotional, und indem sie für diese Kinder sorgen, halten sie dieses Schicksal in den Händen. Den Teil, den die Mütter an Sorgerecht abgeben, bekommen sie von der Gesellschaft, etwa in Form einer sicheren Perspektive, nicht ersetzt.
Im Gegenteil: Die Erwartungen an sie sind so festgefahren, daß sie bestehen bleiben werden. Mütter spüren, wenn sie ihr Kind mehrmals zu spät aus der Kita abholen, wenn es in der Schule versagt, unter Spielenden oder gar in öffentlichen Verkehrsmitteln aus dem Rahmen fällt. Wenn meine Tochter den ganzen Weg von der Kita bis nach Hause durchbrüllt, sich im Fahrradsitz aufbäumt, bis ich sie vor dem Herunterstürzen retten muß, bedenken mich meine Mitmenschen mit Worten wie „Hexe“ und „Rabenmutter“ oder zischen: „Soll 'se kein Kind in die Welt setzen, wenn 'se damit nicht umgehen kann.“ Zu Hause schließe ich die Fenster, denn das Gebrüll der Tochter hallt im Hof wider. Ihr Vater jedoch macht das Fenster wieder auf. Ihn interessieren die Leute nicht, erklärt er. Weil er als Mann den moralischen Druck nicht kennt, den sie ausüben.
Bei einer Scheidungsverhandlung, der ich beiwohnte, hat die Richterin aus den tradierten Erwartungen gar ein Urteil gemacht: Sie warf der Ehefrau vor, eine schlechte Mutter zu sein, da sie während der Scheidungsphase eine Regelung durchgehalten habe, nach der die Kinder jeweils zwei Wochen beim Vater und bei ihr verbrachten. Keine gute Mutter, argumentierte die Juristin, halte es zwei Wochen ohne ihre Kinder aus. So wird die Gleichberechtigung von unverheirateten Eltern teuer erkauft. Den Preis zahlt nicht der Vater. Die Gerechtigkeit folgt auf den Verzicht: eine typisch mütterliche Handlung.
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