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■ SchlaglochIch, mein Hund und die Politik Von Nadja Klinger

„Außerdem bin ich ja wirklich sehr beliebt bei den Deutschen, bei den Kritikern, den Lesern ... sie kaufen meine Texte wie besemmelt, da hatten sich schon ein paar Millionen angesammelt. Damit habe ich die Stadt gekauft. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich muß regieren.“

Die Schriftstellerin

Sibylle Berg in ihrer Ko-

lumne im „Zeit-Magazin“,

Oktober 1998

Das ist schon mein dreißigstes Schlagloch, und ich habe immer noch keinen Hund. Nun gut. Ich besitze ja auch keinen Jogginganzug. Außerdem würde mein voller Kalender die Gassitermine wieder ausspucken. Oder ich müßte Arbeit mit nach draußen nehmen, irgendwas zum Nachdenken, irgendwas zum Stopfen. Aber wohin sollten mein Hund und ich die notdürftigen Angelegenheiten erledigen gehen? Sämtliche Hundescheiße in der Gegend wird von mir breitgetreten. Und ebenso notorisch, wie ich ins Glück latsche, friere ich. Demnach wäre ich gezwungen, mein durch die Kälte bummelndes Tier zu hassen. Berechtigterweise muß geschlußfolgert werden, daß ich gar keinen Hund zu haben habe, denn er paßt nicht in meine Welt.

Immerhin hat mich das vor drei Jahren dafür prädestiniert, in das Auto des taz-Chefredakteurs zu steigen. Ich wartete an einer Stelle von Berlin, wo einst die Mauer gestanden hatte, er kam die damalige Lindenstraße entlang direkt auf den Osten zu gefahren und bremste dort, wo ich stand, kaum ab, denn die Straße machte – „günstigerweise“, wie er feststellte, als ich aufgesprungen war – einen Bogen zurück nach Westen. Dann fuhren wir zu einer Versammlung in eine große, sonnige Wohnung mit Stil und einem beeindruckend überfüllten Bücherregal, wo mit Hilfe von bestem Wein und außergewöhnlich zubereitetem Essen über die geplante Schlagloch-Kolumne nachgedacht wurde. Der Abend zog sich, und auffällig an der endlosen Debatte war: Daß es jede Woche etwas zu sagen geben würde, darüber bestand überhaupt kein Zweifel. Indessen sprachen wir ausschließlich über das Wie. Unsere Texte sollten bedeutend sein, also politisch, was viel meinen konnte außer harmloses, also unpolitisches Zeug. So legten wir uns lediglich darauf fest, daß im Schlagloch nichts zu suchen habe, was wie folgt beginnt: Neulich ging ich mit meinem Hund spazieren...

Dreißigmal habe ich diese richtungsweisende Vorschrift bedacht: Du hast nicht im Jogginganzug durch deinen Alltag zu spazieren, und davon, daß Hundescheiße im Weg liegt, geht die Welt nicht unter. Also blieb ich auf dem Balkon, sah von oben herab. Ich weiß ja nicht, wie viele Leser den Zustand kennen, in dem man sich befindet, wenn man mit der Kolumne dran ist. Er ist schwer zu beschreiben, denn er fällt immer in die Zeit, in der man gerade nichts zu sagen hat. Besser gesagt in die Zeit, da man sich bewußt wird, daß man nie etwas zu sagen hat. Es aber trotzdem tut. Und mit welchem Recht? Je nachdem, wie viele Leserbriefe einem schon klargemacht haben, was man angerichtet hat, steht man mit mehr oder weniger Skrupeln auf dem Balkon. Es gibt massig Harmloses zu sehen. Um es denen da unten mitzuteilen, muß es bedeutend werden.

„Er hatte sich angewöhnt, in Stereotypen zu denken. Stereotypen waren kolumnenträchtig“, erzählt Matthias Matussek über einen Kolumnisten in seinem Buch „Fifth Avenue“. Was er da beschreibt, ist die Kunst des Journalismus und gleichzeitig dessen Problem. Denn indem es gelingt, das, was geschieht, auf einen Begriff zu bringen, ist es mit eben diesem Ereignis schon wieder vorbei. Man hat ein neues geschaffen. „Immer ging es darum, aus dem Tanz der Tatsachen die Summe zu ziehen“, schreibt Matussek, „und die Welt in Licht und Schatten zu trennen. Ein Schöpfungsakt.“

Was benannte Kunst anbetrifft, so ist sie nicht geringzuschätzen. Zwar entwickelt man eine gewisse Fertigkeit, sich harmlose Dinge kolumnenträchtig zu sehen, und das macht einen mitunter launisch oder depressiv, ist manchmal auch zum Kotzen, man geht ja, sozusagen, die ganze Zeit, ob man will oder nicht, mit den Harmlosigkeiten schwanger. Andererseits hilft die Kunst einem, zumindest den Abgabeterminen für die Texte gelassen entgegenzusehen. Das Problem wiederum ist deshalb so groß, weil man es als Autorin selber nicht hat: Man muß nicht einmal bemerken, daß es existiert. So ziehe ich, während ich am Mauerstreifen auf den taz-Chef warte, meine Summe und erzähle die Geschichte so, wie sie oben steht. Ich hätte anstatt der sich vor dem Osten biegenden Straße ja auch hervorheben können, daß ich nicht mit der BVG reisen mußte.

Oder nehmen wir die jüngsten Ereignisse. Als ich am euphorischen Morgen nach der Bundestagswahl ins Flugzeug nach Bonn gestiegen war, stauten sich plötzlich die Passagiere im Gang. Der Grund: Die Stewardeß hatte ein Problem und versuchte es mit einem kleinen, aber attraktiven, gut gekleideten Mann zu lösen. Sie sprach ihn an. „Ich möchte Sie bitten, Ihren Platz zu tauschen, denn dort hinten am Notausgang sitzt ein ziemlich beleibter Herr“, sagte sie. „Im Fall des Falles versperrt der uns den Notausgang.“ Der Mann, der die Hoffnungen spürte, die auf ihm ruhten, griff sofort Mantel und Gepäck. Bis der Tausch vollzogen war, bewegte sich nichts. Und als wir schließlich eilig starteten, steckten die Reisenden tief in den Zeitungen oder schliefen gar. Kein Mensch außer mir hatte das journalistisch-historische Lebenszeichen vernommen: Jetzt, da wir endlich starteten, war der Dicke weg und der möglicherweise alles entscheidende Notausgang frei.

Auch wenn das wieder ein kolumnenträchtiges Bild ist: Wer politisch schreibt, läuft eben nicht durch die Welt, in der andere mit ihrem Hund spazierengehen. Das muß so sein. Leider. Nicht weil die beträchtliche Distanz zum Hundebesitzer eben Produkte anrichtet wie Mediengestalten, Medienereignisse oder die sogenannte öffentliche Meinung. Sondern schlimmer noch: Weil der Balkonsteher sich in dem, was er unten sieht, zu irren beginnt.

So hat mich das Flugzeug nicht nach Bonn, sondern dorthin gebracht, wo ich pausenlos mit der Frage konfrontiert wurde: Was ist mit diesem Land passiert? Doch abends, beim Italiener, wo selbst Tortellini und Wein politisch verdaut wurden, war zu sehen, wie absurd die Frage zugleich ist. Am Nebentisch rief eine Bonnerin, nachdem sie sich plautzig gesetzt hatte, mit irgendeiner italienischen Vokabel nach dem Kellner. Dann nannte sie unüberhörbar ihre Speisen und verband jede Bestellung mit einem Zusatzwunsch: den Weißwein ungekühlt, den Salat ohne Mais, die Soße angedickt und das Brot aufgewärmt. Alldem fügte sie ein „Wie immer!“ hinzu. Im Grunde war gar nichts passiert.

Ob ich mir, da ich die Dinge so sehe, nicht doch einen Hund anschaffen will? Nun ja, mit Sibylle Berg gesprochen könnte ich dann keine Texte mehr schreiben, die die Leser wie besemmelt kaufen. Und eigentlich möchte ich doch lieber regieren.

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