piwik no script img

Schiwago bringt Kasse

■ Peter, Bremens unbequemster Straßenmusiker: „Zum Glück habe ich so einen Durchschnittsgeschmack“

Fast jeder Bremer kennt Peter. Und nicht nur, weil er jetzt schon zehn Jahre in der Sögestraße arbeitet. Peter, der dickköpfige Rollstuhlfahrer mit seinem Hund und dem Yamaha-Keyboard auf dem Schoß. Wer ihn in lautstarker und auch schon mal handgreiflicher Aktion erlebt hat, weiß, daß dieses Bremer Original eher ein Naturereignis als ein Stadtmusikant ist. Einen Sympathiepreis würde er nicht unbedingt gewinnen, aber für viele ist es schon Tradition, etwas in seine Plastikschale zu werfen, und es gibt auch Stammkunden, die ihre Lieblingslieder von ihm spielen lassen. Die taz sprach mit ihm über Leben & Musik.

taz: Kannst Du eigentlich die Lieder noch hören, die du da jeden Tag spielst?

Peter: Ich spiel‘ fast immer das, was ich auch selber mag, und ich habe Glück, daß ich so einen Durchschnittsgeschmack habe. Ich bin ziemlich vielseitig, das geht von Volksmusik über Rock 'n‘ Rollo bis zu Country und Tango. Bloß die moderne Musik mag ich nicht, mit Disco und Rap kann ich nichts anfangen, ich bin ziemlich altmodisch.

Und du machst das wirklich schon seit zehn Jahren?

Zuerst habe ich geschnorrt, mich schmal gemacht, wie wir sagen. Da hab ich noch im Heim gelebt. Ich bin nämlich 15 Jahre lang im Heim aufgewachsen. Aber bald habe ich gemerkt: Die meisten Leute wollen, daß man was macht fürs Geld, und wenn's nur Musik ist. Da habe ich angefangen, Mundharmonika zu spielen. Später habe ich dann ein Akkordeon bekommen, und statt viel Geld für die Musikschule auszugeben, übte ich lieber auf der Straße und ließ es mir bezahlen. Später hab ich es auch mit der Gitarre versucht, aber nach einigen handfesten Diskussionen mit Skins, bei denen meine Greifhand mehrfach kaputtging, habe ich mich dann auf Tasteninstrumente beschränkt. Dieses Keyboard habe ich jetzt seit gut einem Jahr. Ich bin ja nun nicht gerade ein As auf meinem Gebiet, aber ich bin zufrieden. Und wer mein Organ mal gehört hat, vergisst es nicht so schnell.

Und von dieser Arbeit lebst du?

Damit kann keiner reich werden. Aber ich habe einen Haushalt mit zwei Hunden, und ich bin schon stolz darauf, mich in all den Jahren körperlich und psychisch auf einem gewissen Level gehalten zu haben. Ich arbeite jeden

Tag in der Woche für fünf bis sechs Stunden, Sommer wie Winter. Ich brauche körperliche Arbeit, aber in den Werkstätten bieten sie einem nur dümmlichen Fummelkram an. Andere Arbeit finde ich nicht, also mach ich auf der Straße Musik.

Machen dir Ladenbesitzer oder Polizei noch Schwierigkeiten?

Die will ich sehen! Das hat sich alles eingespielt, nach zehn Jah

ren kennt man sich ja auch. Ärger gibt es höchstens mit andern Straßenhändlern und Musikern, die sich nicht an die ungeschriebenen Regeln dieses Handwerks halten, oder mal mit Passanten. Die Touristen liebe ich zum Beispiel nicht besonders, die stehen meist nur rum, glotzen, machen viele Fotos und geben nichts. Und dann gibt es immer Leute, die dumme Sprüche machen - „Du bist ein Pen

ner“ und so. Da kann es dann auch mal Kabbeleien geben, bei denen es laut und handgreiflich wird.

In der Nähe von Peters Stammplatz hat sich inzwischen ein Saxophonist hingestellt, und nun sieht man, was zehn Jahre Routine ausmachen. Peter zeigt mir die Fehler seines Kollegen: Der steht direkt am Eingang eines Geschäftes, „da kommen eh bald die Bullen“. Und er kämpft sich durch komplizierte Soli vom Notenblatt. „Mit der Musik kriegt der hier keine Mark.“ Sein Hut bleibt tatsächlich leer und nachdem er be

trübt das Feld geräumt hat, stimmt Peter die Schicksalsmelodie aus Dr. Schiwago an. „Traurige Lieder machen mehr Kasse“, sagt er, und das Kleingeld tröpfelt dünn aber stetig in seine Plastikschale.

Nur sein Instrument sieht schon ziemlich mitgenommen aus. Wo ein neues hernehmen? Peter meint, ein Werbevertrag für den Konzern, der die Dinger herstellt, wäre ihm schon recht. Da müßte er aber in Zukunft viel netter mit den japanischen Touristen umgehen. Willy Tau

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen