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Schirm zu ... und alle stehen im Regen

■ Protestaktionen gegen die mögliche Schließung von einhundert Büchereien

Unter dem Motto „Berlin braucht Bibliotheken“ protestierten etwa 1.500 Angestellte aus allen 23 Bezirken gegen die Pläne des Innensenats, bis 1997 etwa 300 Stellen zu streichen. Über die Konsequenzen sind sich die Bildungsstadträte aller Parteien und der Kultursenat einig. Weil schon im vergangenen Jahr 109 Stellen gestrichen wurden, die Personaldecke also extrem eng ist, müßten 100 der insgesamt 272 Stadtteil-, Jugend-, Kinder-, Musik- und Schulbibliotheken dichtgemacht werden. „Berlin, die zukünftige Hauptstadt“, so stand auf einem Transparent zu lesen, würde dann ein Bibliotheksnetz auf „Dorfniveau“ besitzen.

Die Demonstration auf der Schöneberger Hauptstraße und die Kundgebung vor der Theodor- Heuss-Bibliothek waren gut vorbereitet. Der „Verein der Bibliothekare“ hatte 272 blau-weiße Regenschirme – vor jede Bücherei eine – verteilen lassen. Und um den „Kulturkahlschlag“ zu veranschaulichen, klappten auf ein Signal hundert Regenschirme zu. Leer sah es plötzlich auf dem Platz aus. Daneben präsentierte jeder Bezirk die auf ihn zukommenden Folgen der Stellenstreichungen. Die Weddinger listeten auf, daß es heute bei ihnen noch 14 Standorte mit 15 Bibliotheken gibt, 1997 aber nur noch vier Standorte mit fünf Büchereien. Ähnlich in Reinickendorf. 1980 gab es dort elf Einrichtungen, aber sollten die Kürzungen Wirklichkeit werden, werden es bald nur noch drei sein. „Hier ist der automatische Anrufbeantworter, ihre Zweigstelle ist geschlossen“, bilanzierten die Pankower, und die von Mitte trugen Sandwiches mit Kinderbitten: „Ich will meine Bibliothek behalten, weil sie so schön ist.“

Auf der Kundgebung forderten mehrere Sprecher, daß der Senat die bestehende dezentrale Bibliotheksstruktur nicht zerschlagen, sondern sie im Gegenteil modernisieren sollte. Als Beweis für die Akzeptanz der Bibliotheken wurden Zahlen angeführt. Alleine im letzten Jahr wurden in Schöneberg 780.000 Bücher ausgeliehen, in ganz Berlin über 20 Millionen. Laut einer Emnid-Umfrage bewerteten insgesamt 15 Prozent der Berliner die vorhandenen Einrichtungen als „sehr gut“ und 49 Prozent als „gut“. Besonders hoch sei die Akzeptanz bei den über 65jährigen. Daß gerade diese Bevölkerungsgruppe, aber auch Kinder keine langen Anfahrtswege in Kauf nehmen können, um zu einer Bibliothek zu kommen, „liege doch auf der Hand“, sagte ein Sprecher. Anschließend wurden dem Kultursenator 50.000 Postkarten für den Erhalt der Bibliotheken überreicht. Die Parlamentspräsidentin hatte die Annahme verweigert, nachdem sie in den letzten Wochen mit diesen Protestkarten überschüttet wurde. aku

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