piwik no script img

Schiller lebt hier nicht mehr

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat die Schließung der Staatlichen Bühnen mit großer Mehrheit bestätigt Der Spielbetrieb soll bereits Ende des Monats eingestellt werden  ■ Aus Berlin Klaudia Brunst

Berlin hat sich entschieden: Olympia 2000 will man sich leisten, das Schiller Theater fällt durch die Maschen der Sparpolitik. In der zweiten Parlamentssitzung des Berliner Abgeordnetenhauses wurde am Donnerstag die Senatsvorlage vom 22. Juni, derzufolge die Staatlichen Bühnen „mit sofortiger Wirkung“ geschlossen werden sollen, mit großer Mehrheit durchgestimmt. 134 Abgeordnete votierten in namentlicher Abstimmung mit Ja, ihnen standen nur 53 Neinstimmen und 17 Enthaltungen gegenüber. Für das Theater wird nun ein privater Träger gesucht, kurzfristig soll das Haus dem Metropol-Theater zur Verfügung gestellt werden, solange dessen Spielstätte renoviert wird.

Daß die Mehrheit für den Schließungsbeschluß so deutlich ausfallen würde, war bis zum Tag der Entscheidung nicht abzusehen. Unter dem Motto „Schiller muß bleiben“ hatte sich ein bundesweiter Protest gegen die Senatsvorlage formiert. Nicht nur die Belegschaft und zahlreiche namhafte Theaterintendanten aus Ost und West geißelten den Berliner Sparbeschluß als kulturpolitische Bankrotterklärung, auch in CDU-Kreisen hatte sich Widerstand gegen die Senatsvorlage formiert. Und das Berliner Publikum, das in den letzten Jahren immer spärlicher in das Haus an der Bismarckstraße gekommen war, wollte nun plötzlich auf seine Traditionsbühne nicht mehr verzichten.

Dabei war der künstlerische Output der Staatlichen Bühnen schon seit langem viel schlechter als ihr legendärer Ruf. Nach etlichen Fehlentscheidungen in den vergangenen Jahren war aus dem Luxusliner Schiller Theater ein unmanövrierbares Wrack geworden. Die 41 Millionen Mark Kultursubventionen machten die Staatlichen Bühnen zwar zum teuersten Theater Deutschlands – aber beileibe nicht zum besten. Allein in Berlin sind etliche der 21 staatsgestützten Bühnen mit einem kleineren Etat künstlerisch erfolgreicher.

Allesamt wirtschaftlich auf Grund saniert, hatten die Berliner Theaterintendanten im Frühjahr den Notstand ausgerufen. Nicht eine Mark könne an ihren Häusern mehr eingespart werden, bei weiteren, angesichts der Berliner Finanznot unumgänglichen Sparmaßnahmen sei der Spielbetrieb nicht mehr zu garantieren.

Dem Kultursenator Roloff-Momin (parteilos) blieb kaum noch Handlungsspielraum, wollte er nicht die gesamte Berliner Theaterlandschaft substantiell gefährden. Angesichts der mageren Platzausnutzung hielten er und seine Senatskollegen die Staatlichen Bühnen am ehesten für entbehrlich.

Eine von der FDP angestrengte Klage vor dem Landesverfassungsgericht setzte den Schließungsfahrplan im Juli vorerst aus. Die Abgeordneten müßten die Vorlage in einer ordentlichen Parlamentssitzung erst noch bestätigen, erklärten die Verfassungsrichter – ein Time-out, das der Protestbewegung „Schiller muß bleiben“ eine dreimonatige Gnadenfrist bescherte und die Diskussion über den Erhalt der Bühnen erneut anfachte.

Tatsächlich wäre mit der Entscheidung, die Staatlichen Bühnen wider besseres (Finanz-)Wissen zu erhalten, viel mehr in Bewegung geraten als nur der Kulturetat. Auch in anderen Ressorts waren für den Haushalt 94 schmerzliche Einsparungen beschlossen worden, mit dem Tagesordnungspunkt „Schiller Theater“ stand am Donnerstag im Abgeordnetenhaus indirekt das gesamte Haushaltspaket zur Disposition.

Als Schiller-Intendant Volkmar Clauß nach der Antigone-Vorstellung die schlechte Nachricht verkündete, machte sich im Publikum vor allem Nachdenklichkeit und Ratlosigkeit breit. Auch Katharina Thalbach konnte mit einem langen, engagiert vorgetragenen Monolog über die Kultur für die Mächtigen nichts mehr bewirken. „In diesem Land soll es keine Kultur mehr geben, darum geht es!“ erklärte die Schauspielerin, die am Schiller Theater so etwas wie eine Hoffnungsträgerin gewesen war, inzwischen aber – wie viele andere prominente Ensemble-Mitglieder – das sinkende Schiff bereits verlassen hat. Ihre ehemaligen KollegInnen werden nun den Spielbetrieb bis zum 30. September planmäßig abwickeln. Danach wird Schiller allerdings irgendwo anders leben müssen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen